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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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und Wolf prallt
     ein Stückchen zurück. Steifbeinig, in höchster Imponierstellung, umgeht er im Kreise den alten Hund, hebt das Bein am nächsten
     geeigneten Gegenstand und entfernt sich. Würde man das Verhalten dieses alternden Rüden seinem Sinne nach in Worten ausdrücken,
     so hieße es etwa: »Ich bin kein Rivale für dich, ich habe keinen Ehrgeiz, dir sozial über- oder auch nur gleichgeordnet zu
     sein, ich komme dir nicht ins Gehege, ich will nur in Ruhe gelassen werden. Tust du das aber nicht, kämpfe ich mit allen Mitteln,
     so scharf und auch unfair, wie ich nur irgend kann!«
     
    |41| Wolf begegnet beim Gemeindebrunnen einem kleinen gelben Köter, der sich vor ihm panisch fürchtet und sofort durch die Tür
     der Gemischtwarenhandlung zu entkommen trachtet. Wolf stürmt auf ihn zu, drängt sich seitlich an ihn und rempelt ihn mit der
     erwähnten Schleuderbewegung des Hinterteils so an, daß der Köter vom Haus weg auf die Straße geschleudert wird. Dann ist Wolf
     wie ein Gewitter über ihm und rempelt ihn immer wieder. Der Kleine schreit jedesmal gellend auf, als litte er die ärgsten
     Schmerzen; schließlich schnappt und beißt er verzweifelt nach dem Angreifer. Wolf aber knurrt nicht einmal, er macht auch
     kein Drohgesicht, läßt sich vielmehr in aller Ruhe beißen und rempelt weiter. Er verachtet den anderen als Kampfesgegner so
     vollkommen, daß es ihm nicht dafürsteht, auch nur das Maul aufzumachen. Aber er haßt den Gelben, weil er sich wiederholt in
     unserem Garten hat blicken lassen, als Susi läufig war. Diese Wut nun reagiert er an dem Unterlegenen in der beschriebenen,
     wenig vornehmen Weise ab. Für die große Angst, die sich in Schmerzensschreien bemerkbar macht, noch ehe tatsächlich Schmerz
     empfunden wird, ist eine ganz bestimmte Stellung der Mundwinkel charakteristisch: Sie werden weit nach hinten gezogen, wobei
     die dunkle Schleimhaut des Mundinneren, nach außen gerollt, als dunkle Umrandung sichtbar wird. Dies gibt dem Hundegesicht
     auch für das menschliche Empfinden einen eigenartig weinerlichen Ausdruck, zu dem die Lautäußerung in unmittelbar verständlicher
     Weise paßt.
     
    Wolf I. kommt zu seiner Gattin Senta und den erwachsenen Kindern auf die Lindenterrasse. Er begrüßt Senta, beide wedeln, sie
     leckt ihn zärtlich am Mundwinkel und stößt ihn mit der Nase. Dann wendet sich Wolf I. einem seiner Söhne zu. Dieser nähert
     sich dem Vater aktiv, stößt mit der Nase nach ihm, entzieht sich aber den Versuchen des Vaters, ihn hinten zu beriechen, indem
     er, ununterbrochen wedelnd, den Schwanz nach unten nimmt. Der Rücken des Jungen ist gekrümmt, seine Haltung unterwürfig, aber
     trotzdem befürchtet |42| er offensichtlich nichts von seinem Vater, ja, er belästigt diesen sogar, indem er sich ihm mit Schnauzenstößen und dem Versuch,
     ihn am Mundwinkel zu lecken, geradezu aufdrängt. Der alte Rüde nimmt zwar keine Imponierhaltung an, verhält sich aber so steif
     und würdig, daß er beinahe
verlegen
wirkt: Er wendet den Kopf zuerst seitlich von der Schnauze des leckenden Jünglings ab und hebt schließlich die Nase hoch empor,
     um sie dem Sohne zu entziehen. Als der junge Hund, ermutigt durch das Zurückweichen des Vaters, immer zudringlicher wird,
     entsteht sogar eine leise Falte des Unwillens. Die Stirne des jungen Hundes dagegen ist nicht nur glatt, sondern breit auseinandergezogen,
     so daß die Augenwinkel schlitzförmig nach hinten gezogen und gesenkt scheinen. Wie oben die Begrüßungsweise Sentas, sind auch
     hier die Ausdrucksbewegungen denen völlig gleich, die ein weicher, sehr unterwürfiger Hund dem menschlichen Herrn gegenüber
     beobachten läßt. Vermenschlichend gesprochen, liegt bei dem jungen Hund ein Kompromiß zwischen einer gewissen Ängstlichkeit
     und der Liebe vor, die ihn veranlaßt, sich dem Herrscher zu nähern.
     
    Susi trifft im Dorf einen großen, etwa einjährigen Collie-Schäferhund-Mischling, einen Sohn des schon erwähnten Rolf. Da er
     sie im ersten Augenblick für Wolf hält, den er sehr fürchtet, erschrickt er. Ihres schwachen Gesichtssinnes wegen können nämlich
     Hunde auf Entfernung nur grobe Umrißformen unterscheiden, und da Wolf der einzige Chow ist, den die Hunde in der Gegend zu
     sehen gewohnt sind, kam es häufig vor, daß unsere freche dicke Susi mit ihrem gefürchteten Verwandten verwechselt wurde. Die
     enorme Frechheit, welche die junge Dame bald entwickelte, ist sicher zum großen Teil dadurch

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