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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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den Ohren und am Mundwinkel. Stehen jene unverändert aufrecht
     und vorwärts und ist dieser weit nach vorne gezogen, so fürchtet sich der Hund nicht und er kann jeden Augenblick angreifen.
     Jedes Anklingen von Furcht drückt sich in einer entsprechenden Bewegung der Mundwinkel und der Ohren aus, als zöge in diesen
     Teilen die unsichtbare Kraft der Fluchtneigung das Tier nach hinten.
    Gleichzeitig mit der Mimik aktiver Drohung beginnt das Knurren; je tiefer es klingt, um so sicherer fühlt sich das Tier –
     die dem Individuum eigene Stimmlage natürlich eingerechnet. Ein frecher Foxterrier knurrt natürlich höher als ein ängstlicher
     Bernhardiner.
    Immer noch Flanke an Flanke stehend, beginnen nun Rolf und Wolf einander zu umkreisen. Jeden Moment fürchtet man Tätlichkeiten.
     Aber das völlige Gleichgewicht zwischen den Großmächten verhindert die Kriegserklärung. Sie knurren |39| zwar immer drohender, aber es geschieht nichts. In mir entsteht ein Verdacht, der sich noch verstärkt, als ich einen auf mich
     gerichteten Seitenblick Wolfs und gleich darauf auch Rolfs gewahre: Die beiden erwarten nicht nur, sondern hoffen geradezu,
     daß ich sie trennen und so der moralischen Verpflichtung zum Kampfe entheben werde. Der Drang, die Würde, das Prestige zu
     wahren, ist nämlich durchaus nicht spezifisch menschlich, sondern tief in den instinktmäßigen Schichten des Seelenlebens verankert,
     in denen höhere Tiere uns aufs nächste verwandt sind.
    Ich greife indessen nicht ein, sondern überlasse es den Hunden, einen würdigen Rückzug zu finden. Sehr langsam lösen sie sich
     voneinander, Schritt für Schritt gehen sie nach verschiedenen Seiten der Straße, und schließlich heben sie, immer noch mit
     einem Auge nach einander schielend, gleichzeitig, wie auf Kommando, das Hinterbein, Wolf an der Telegraphenstange, Rolf an
     einem Träger des Straßengeländers. Dann setzen sie in Imponierstellung ihren Weg fort, jeder hält vor sich selbst gewissermaßen
     die Fiktion aufrecht, moralisch gesiegt und den anderen eingeschüchtert zu haben.
    Eigenartig ist manchmal das Verhalten von Hündinnen, die einem derartigen Auftritt gleich starker und rangmäßig ebenbürtiger
     Rüden beiwohnen. Wolfs Gattin Susi wünscht in solchen Fällen zweifellos den Kampf. Sie hilft dann ihrem Gemahl zwar nicht
     wesentlich, aber sie will sehen, daß er den anderen Rüden vermöbelt. Zweimal habe ich gesehen, daß sie hierbei ein geradezu
     tückisches Mittel anwandte: Als Wolf mit einem anderen, und zwar beide Male einem ortsfremden »Sommerpartei-Hund«, Kopf an
     Schwanz stand, umkreiste sie vorsichtig und interessiert die Rüden, die sie als Hündin nicht beachteten. Dann zwickte sie
     lautlos aber kräftig ihren Mann in seine dem Gegner dargebotene Hinterfront. Wolf mußte somit glauben, der feindliche Rüde
     habe ihn in einem unerhörten, tief empörenden Verstoß gegen alle uralten Gesetze des Hundebrauches beim Beriechen in den Hintern
     gebissen. Natürlich griff Wolf daraufhin an; und da |40| diese Attacke nun für den anderen Rüden nicht minder regelwidrig und empörend war wie der Zwick vorher für Wolf, entspann
     sich ein ungewöhnlich wütender Kampf.
     
    Wolf begegnet einem etwas greisenhaften, rasselosen Hund, der in den zuoberst gelegenen Häusern unseres Dorfes wohnt. Als
     Wolf noch nicht ausgewachsen war, fürchtete er den Alten sehr. Jetzt hat er zwar keine Angst mehr, aber er haßt ihn grimmiger
     als alle anderen Hunde und läßt keine Gelegenheit ungenützt, ihn zu behelligen. Als die Hunde einander sehen, erstarrt der
     Alte, Wolf aber stürzt auf ihn zu, rempelt ihn mit der Schulter und einer schleudernden Bewegung des Hinterteils kräftig an
     und bleibt dann neben ihm stehen. Der Alte hat sofort mit einem durchaus ernst gemeinten Zuschnappen geantwortet, doch schlugen
     seine Zähne in leerer Luft zusammen, da er im Augenblick des Schnappens schon von dem Stoß getroffen wurde. Nun steht er zwar
     steifbeinig und hoch aufgerichtet da, aber sein Schwanz ist gesenkt, er bringt es nicht fertig, die Hinterregion selbstsicher
     darzubieten. Nase und Stirn sind drohend gefaltet, die Ohren weit zurückgelegt, die Mundwinkel merklich zurückgezogen, der
     Kopf wird, niedrig gehalten, vorgestreckt. Diese geduckte Stellung, verbunden mit Drohmimik und gereiztem Knurren, sieht ausgesprochen
     gefährlich aus. Als Wolf sich ihm wieder nähern will, stößt der Alte verzweifelt zuschnappend gegen ihn vor,

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