Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
er sie aufgemacht hatte, noch zwei Paar und unter ihnen abermals zwei Paar Lider sein könnten, und immer so weiter. Meine Frau liegt im Sterben. Und ich kann dagegen nichts tun. Er hörte die winzigen Muskeln schnalzen, als er die Augen aufschlug. Die Deckenlampen glommen auf ihn herab. Er drehte sich seitwärts, sah Mornings Platz leer, den Abdruck im Bettzeug, und ihm war, als schöbe sich alles Eis der Antarktis in sein Herz.
    Aber da schleppte sich Morning in die Kabine; sie zitterte wie im Fieber. Schnee schimmerte in den Falten ihrer ARES-MONTUR. An den Resten ihres Haars hingen Eiszäpfchen.
    »Du hast mich erschreckt«, sagte George. »Ich dachte schon…«
    »Nein. Erst am zweiten Mai. Ich bin am zweiten Mai auf den Kontinent gelangt.«
    »Bist du draußen gewesen? Dich im Freien rumzutreiben, ist Wahnsinn.«
    »Ich habe eine Abmachung getroffen.«
    »Was?«
    »Nimm mich in die Arme.«
    Er tat es.
    »Ich sage dir jetzt etwas Seltsames«, schnaufte sie mit kratziger Stimme. »Aber du darfst mich trotzdem nicht loslassen.«
    »Ich versprech’s«, sagte George.
    »Du wirst deine Tochter wiedersehen. Holly.«
    George drückte Morning fester an sich. »Holly ist tot.«
    »Ich habe eine Abmachung getroffen«, wiederholte Morning. »In einer Woche ist es soweit. Am Sonntag. Sei drauf gefaßt.«
    »Ich kapier nicht, was du meinst«, gestand George.
    »Du kannst einen halben Tag lang mit ihr zusammen sein. Zwölf Stunden. Das ist wenig. Noch kannst du nein sagen.«
    »Natürlich will ich’s gern… Es ist mir lieber als sonst was…«
    »Also gut. Dann geht die Sache klar. Sonntag. Ein zwölfstündiger Besuch. Von mittags an. Denk dran, sei drauf gefaßt.«
    »Ich versteh’s aber nicht.«
    »Ich habe eine Abmachung vereinbart.« Eiswasser troff von Mornings Gestalt auf den Teppichboden.
    »Die Kleine auf Leonardos Glasmalerei, war sie nicht Aubrey?«
    »Es gibt keine Aubrey. Es war…«
    »Holly?«
    »Ja.«
    »Sie sah auch genauso aus«, sagte George versonnen. »Sie mußte es sein.«
    »Das Bild hat die Zukunft gezeigt«, versicherte ihm Morning. »Nostradamus’ Prophezeiung stimmte. Küß mich.«
    *
    Den ganzen Weg zum Periskopraum ging Morning voraus. Periskop Nummer I bot, als gäbe es keinen Grund zum Grausen, einen detailreichen Überblick des Kontinents. Überall längs des Transantarktischen Gebirges forderte die McMurdo-Sund-Konvention ihren Tribut, Millionen Annullierte zerfielen, Geist und Körper ließen sie im Stich, statt Leichen blieben ARES-Monturen zurück.
    »Ich mag das nicht sehen«, sagte George.
    »Du hast schon Schlimmeres mitangeschaut«, entgegnete ihm Morning.
    Sein Blick schweifte über das Ross-Eisschelf. Im Vergleich zu der Eiskluft in dessen Mitte war der durch die Schlacht um Wildgrove aufgerissene Krater lediglich ein Mauseloch. Stolzen Schritts wanderten sie darauf zu, alle jene, die den freien Willen der McMurdo-Sund-Konvention vorzogen, Befreundete hielten sich an den Händen, Liebende in den Armen, Frauen umfingen Kinder, Kinder umschlangen aus Schnee gepreßte Teddybären. Als riesige weiße Flutwelle wälzten sie sich über die unregelmäßige Kante des Abgrunds, ungelebtes Leben kehrte in Scharen zurück zum Muttergestein, Generation um Generation nahm vom Kontinent Abschied.
    »Sie sind im Recht gewesen«, murmelte George, »als sie mich verurteilt haben.«
    Unweit davon loderte auf einem Nunatak ein großes Feuer, vor der Schneelandschaft lohten Flammen, leuchtendrot wie ein Auge der Midgardschlange, empor an den Himmel. Unter der Anleitung Mutter Maria Catherines näherten sich hundert Schwarz-blutige, von denen jeder eine Statuette aus Eis trug, dem Feuer. Sprengkopf um Sprengkopf, Trägersystem um Trägersystem schmolzen sie das Eis-Arsenal der Staatsanwaltschaft. Der Marschflugkörper Trauerschwan zerfloß augenblicklich. Dann taute die Interkontinentalrakete Schutzengel. Als nächstes zertroff die MultiAttack-Rakete, danach waren die Nordlicht III, der schwere Fernbomber W-13 Walküre sowie die diversen Atombomben, Atom-Minen, Atomgranaten und Atom-Wasserbomben an der Reihe. Lautstarker Jubel hallte über den Gletscher, und zum Abschluß gab es Tanz. Kakao erwärmte die ausgekühlten Kehlen, Lächeln machte müde Gesichter froh, und George sah, es eignete sich nichts besser als eine kalte, klare Nacht der Abschreckungsmittelbeseitigung, um ein Annulliertenherz mit Freude zu erfüllen.
    »Unbewaffnete Abschreckung«, sagte George.
    »Was?« fragte Morning.
    »Sie ist

Weitere Kostenlose Bücher