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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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spazierte er durchs U-Boot und zertrümmerte jeden Gegenstand, der irgendwie hell glänzte: Gyroskope, Kompasse, Meßgeräte, Elektronenröhren, Instrumente. Die Bruchstücke sammelte er in einem Kleidersack.
    Die Geschenke suchte er am Mittwoch und Donnerstag zusammen. Er beschloß, daß es zehn sein sollten. Das hielt er für eine ausreichende Anzahl, wenn genug zum Auspacken vorhanden sein sollte, wogegen zwölf oder fünfzehn auf Übertreibung hinausgelaufen wären. Aus Sverres Kabine holte er den weißen Alabasterraben, den Zylinderhut des Kapitäns, den Globus und eine leere Gin-Flasche, aus dem Silberdollar-Kasino einen Stapel Pokerchips sowie ein Poster mit einem Harlekin, dessen Sprechblase die Blackjack-Spielregeln aufzählte. Auf die Chips schrieb er die Namen etlicher Länder. In der Großkombüse gab es ein Riesensortiment von Geschirr, Besteck und sonstigen Küchenutensilien. Er häufte alles in einen Pappkarton und nahm einen Wäscheschreiber der Marine, um den Karton mit ULTRA-SUPER-KÜCHENAUSSTATTUNG zu beschriften. Die Bordbibliothek erwies sich als Enttäuschung, in den Regalen stand kein einziges Kinderbuch. Also fabrizierte er selbst eins, schrieb die Geschichte, die er ihr einmal aus dem Stegreif erzählt hatte – in der ein Kaninchen mit Holly ähnlicher Persönlichkeit seine Selbstzweifel überwand und das Fahrradfahren lernte –, in eine Kladde und illustrierte den Text mit Strichmännchen.
    Als neuntes Geschenk bastelte George aus Streifen und Flicken, die er aus einer Unteroffiziersuniform schnitt, eine Stoffpuppe. Messingknöpfe dienten als Augen.
    Das letzte Geschenk hing schon seit Monaten in seinem Spind.
    Ein halber Tag. Eine kurze Frist. Wahrscheinlich war es am günstigsten, den Baum vorher zu schmücken. Schließlich mußte Holly ja sämtliche Geschenke auspacken, und bestimmt wollte sie auch damit spielen. Als Haken verwendete George die Klipps, die Kapitän Sverres lausige Gedichte zusammengehalten hatten. Am Freitagnachmittag hatte sich das ursprüngliche Orangenbäumchen in einen Glitzerkegel verbogener Armaturen und verdrehten, unkenntlichen Blechs verwandelt.
    Den Deckel einer Büchse Linsensuppe mit Bauchspeck hämmerte er zu einem Stern zurecht. Ein Weihnachtsbaum ohne Stern auf der Spitze war schlichtweg inakzeptabel. Er rückte die Trittleiter an die richtige Stelle…
    Weshalb liege ich auf dem Fußboden? fragte er sich. Wieso glotze ich die Decke an? Er betrachtete die mit Nieten garnierten Wände, den unfertigen Weihnachtsbaum. Ich liege auf dem Boden, weil nichts mehr einen Sinn hat. Die Menschen sind ausgestorben.
    Mitternacht kam. Er rappelte sich hoch. »Nur sind Holly und ich nicht vom Aussterben betroffen worden«, sagte er laut. Er befestigte den Weihnachtsstern, wo er hingehörte.
    Den Samstag nutzte er für die abschließenden Vorbereitungen. Er wickelte die zehn Geschenke in Alufolie und schob sie unter den Baum, arrangierte sie viele Male neu, um die repräsentativste Anordnung herauszufinden.
    *
    Sonntag.
    7 Uhr.
    Rund um den Weihnachtsbaum beschritt George einen Weg der Nervosität und der Zweifel, blieb regelmäßig stehen, um die Geschenke abermals neu anzuordnen oder Baumschmuck umzuhängen. Möglicherweise gefiel die Stoffpuppe Holly nicht. Vielleicht machte sie Zoff. Bestimmt ging etwas schief…
    8 Uhr. 9 Uhr. 10 Uhr.
    Nachdem Chester gestorben war, der Kater, hatten sie beschlossen, für ihn ein anständiges Begräbnis zu veranstalten, einschließlich eines kleinen Grabsteins mit dem Namenszug CHESTER, den George in der Grabmalwerkstatt Crippen aus einem übriggebliebenen Brocken Granit anfertigte. Zuerst hatte die ganze Idee Holly überhaupt nicht behagt; sie weigerte sich, an der Beisetzung teilzunehmen, und hatte ihre Eltern wegen des Einfalls angeschrien. Doch schon am nächsten Tag hatte sie angefangen – wie seitens Georges und Justines vorausgesehen –, jedem von dem großen Ereignis zu erzählen, dem Grabstein, dem vom Tierarzt überlassenen Pappsarg, und sie sprach davon noch monatelang…
    11 Uhr.
    Justine hatte eine Tarantel platzen lassen. Wenn man sich es einmal genau vorstellte, war das eigentlich ein reichlich komisches Erlebnis gewesen…
    Mittag.
    Vor der Kabine: Rasche Schleifschritte. In Georges Hals und Handgelenken pochten spürbar die Adern, es schien, als wollten sie sich seinem Körper entwinden. Seine Schußwunde schmerzte, und er mußte tief durchatmen. Guter Gott, laß den Tag gelingen.
    Ein kleines Mädchen kam in

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