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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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wirklich eine gute Methode, um Atomwaffenarsenale abzuschaffen. Anstatt Rakete gegen Rakete setzt man Fabrik gegen Fabrik. Die russischen und amerikanischen Strategen hätten gewußt, daß jede Wiederaufrüstungsmaßnahme durch eine gleichartige Vorkehrung der Gegenseite beantwortet worden wäre, bis die Welt wieder vor dem Patt der garantierten gegenseitigen Vernichtung gestanden hätte. Also hätte niemand wiederaufgerüstet.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Das Wissen, wie man Atomwaffen herstellt, das ist die wahre Abschreckung. Es sind nicht die Waffen selbst.«
    »Hört sich nicht nach einer allzu stabilen politischen Situation an.«
    »Kann sein.«
    »Habe ich dir mal von meiner besten Freundin erzählt, von Sylvia? Sie hätte das komischste Lachen gehabt, das dir je zu Ohren gekommen wär.«
    Stunde um Stunde beobachteten sie das überwiegend anonyme Sterben, nur wenige Betroffene kannten sie mit Namen. Shawna Queen Jefferson verflüchtigte sich, während sie den Innenhof des Eispalast-Gerichtsgebäudes durchquerte, ihr Talar flatterte wie eine große, schwarze Schwinge im Wind. Alexander Aquinas erwischte es bei dem Bemühen, in einem Loch eines Nunataks ein Exemplar des Gerichtsurteils der Nachwelt zu bewahren. Als der Verfall Gila Guizot packte, nahm sie ihr Gewehr und schoß sich ins Herz; flüssige Schatten verdunkelten ihr Gardekorps-Abzeichen. Jared Seldin, der Möchtegern-Sternenreisende, zerfiel zu nichts, während er auf dem Binnenhochland umherkroch, um einen Jungpinguin zu fangen und zu zähmen.
    Und überall verstreut: ARES-Monturen. In den Straßen der Südpol-Gehennas lagen Monturen wie niedergemetzelte Armenier, Monturen bedeckten wie abgeschlachtete Hugenotten die Nunataks, in Trockentälern häuften Monturen sich wie Säuberungen zum Opfer gefallene Kulaken, Schneehügel waren übersät mit ARES-Monturen, den reinlichen, weißen Fossilien einer Rasse, die keinen einzigen warmen Tag gekannt hatte.
    Auf einem an der Ross-Barriere gekalbten Eisberg stand eine junge Frau. Sie stapfte hin und her, schüttelte eine zittrige Faust gegen den Himmel. George hatte sie schon während des Gerichtsverfahrens bemerkt, sie hatte im Publikum gesessen, zumeist sehnsüchtig Aquinas angestarrt. Ein antarktischer Sturmwind heulte übers Meer, so daß unter null Grad kaltes Wasser am weißen Gefährt der Gescheiterten emporgischtete, ihre Wangen peitschte, Salzwasser in ihre Augen spritzte. Selbst bei seinen therapeutischen Sitzungen hatte George nicht soviel geballtes Leid in einem einzigen Gesicht gesehen. Fast empfand er es als Segen, als die McMurdo-Sund-Konvention das einsame, liebeskranke Mädchen schließlich einholte.
    *
    »Ich habe noch nie getanzt«, sagte Morning zwei Tage später.
    »Das müssen wir ändern«, antwortete George.
    »Walzer soll schön sein, hab ich gehört.«
    »Walzer kann ich nicht tanzen.«
    »Ich auch nicht.«
    »Dann zieh dein Walzerkleid an.«
    Er ging hinaus. Ein bestimmtes Vorhaben hatte er noch nicht im Sinn, aber er war ein guter Ehemann und wollte sich etwas einfallen lassen.
    In dem Mini-Kino herrschte seit längerem Stille, haftete an den Wänden, war in die Sitze gesickert. Er betrat den Vorführraum. Die Blechbehälter mit den 16-mm-Filmrollen waren zu drei wackeligen Stapeln aufgetürmt. In der Mitte des höchsten Stapels fand er zwischen Panik im Jahre Null und Ende August im Hotel Ozon, was er suchte, die englischsprachige Fassung von Sergej Bondartschuks Krieg und Frieden, alle acht Rollen. Er legte eine der mittleren Rollen ein, schaltete den Tonverstärker ein und kippte am Filmprojektor die AN-Taste. Der Projektor brummte und quietschte. »Wenn sich die verderbten und schlechten Menschen zusammentun und zu einer Macht werden«, erscholl im Zuschauerraum die Stimme des Off-Sprechers im Tonfall eines Arztes, der noch jeden Patienten geheilt hatte – Norman Rose, der Mann mit der Goldkehle, betätigte sich als Erzähler –, »so müssen die ehrlichen Menschen das gleiche tun«. George hockte sich ans Schaltbrett der Lautsprecheranlage und experimentierte so lange herum, stöpselte ein und aus, bis die Krieg-und-Frieden- Tonspur aus sämtlichen Lautsprechern des U-Boots dröhnte.
    Er eilte zurück zu Morning. »Darf ich um diesen Tanz bitten?« fragte er.
    »Mit Vergnügen«, antwortete sie und hustete. Der weiße Seidenkimono umschlotterte ihre gebrechliche Gestalt.
    Sie suchten zum Tanzen das Offizierskasino auf. Die Stimmen und Geräusche von Krieg

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