So muss die Welt enden
und Frieden hallten von den Marmorsäulen wider, klirrten in den Kristallleuchtern. George setzte Morning auf ein mit Samt bezogenes Sofa, rückte Tische beiseite, stellte Stühle fort, rollte den Teppich ein.
Jetzt tanzten Natascha Rostowa und Fürst Andrej Bolkonski Walzer, Ludmilla Saweljewa spielte Natascha, Wjatscheslaw Tichonow den Fürsten, die Originalfilmmusik, aufgenommen mit dem Moskauer Sinfonieorchester, stammte von Wjatscheslaw Owtschinnikow.
George hob seine Frau vom Sofa, streckte ihre Arme. Und dann tanzten sie. Es schien, als ginge ein weiser, wohltätiger Gott in ihrer beider Blut ein und gäbe ihnen Tanzunterricht. Gelehrig drehten sie sich umeinander, kreisten durch das russische Palais, rund- und rund- und rundherum, immerzu eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, Owtschinnikows Melodie durchströmte sie, eins-zwei-drei, Klänge schwollen, Halbtöne klimperten, Vierteltöne flirrten, dann folgte das Gesirre silberheller Sechzehnteltöne, als ob zierliche Nadeln in der Luft unsichtbare Teppiche wöben, eins-zwei-drei, und Morning lächelte, warm war es im Saal, und nun lachte sie sogar, man hätte meinen können, ihr Haar glänzte wieder in der Farbe herbstroten Laubs.
»Ich bin so froh«, sagte sie, »daß ich dich geheiratet habe.«
»Ob wir zusammen geblieben wären?« fragte George.
»O ja«, meinte Morning. »Für immer.«
Der Walzer beschleunigte. Zwischen Natascha und Andrej keimte Liebe.
»Du tanzt gut«, sagte Morning.
»Du auch«, antwortete George.
»Das Sexuelle hat bei uns auch gut geklappt.«
»Erstklassig, fand ich.«
Das Orchester steigerte das Tempo zu voller Beschwingtheit. Die Töne schienen geradezu durch die Luft zu flimmern.
»Ich habe mal gehört, es wäre prächtig, wenn morgens ein Hund ins Bett gesprungen kommt und einem das Gesicht leckt«, sagte Morning.
»Das stimmt«, bestätigte George.
Eine punktierte Halbnote schwirrte vorüber, jagte glutvoll vorbei wie eine Rakete.
»Lebwohl, George«, sagte Morning.
»Du wirst mir fehlen«, flüsterte George.
Mornings Knochen verwandelten sich in Balsaholz, und sie wendete alles auf, was sie an Stofflichkeit noch hatte, um ihm einen letzten Kuß zu geben. Schmerzfrei verließ sie die Welt, wurde zu Staub, dann weniger als Staub, einem unterschwelligen Nachhall, einem nie gezeugten oder empfangenen, nie geborenen, nie getauften Etwas, das nur als Erinnerung im hinfälligen Gedächtnis eines Mannes fortlebte, der durch das Offizierskasino eines im Eis festgefrorenen Atom-U-Boots wankte, in den Händen einen Seidenkimono, und weinte wie eine Waise.
KAPITEL 20
Worin ein höchst ungewöhnliches Weihnachtsfest mitsamt Christbaum und Geschenken gefeiert wird
Um jede Mitternacht irrte George, Herr eines menschenleeren U-Boots, durch die mit Teppichboden ausgelegten Korridore der Donald Duck, vormals New York City, und lauschte in der Hoffnung auf das Tappen seiner Stiefel, daß die eigenen Schritte ihn in den Schlaf lullten. Bisweilen hörte er aus einem dunklen Nebengang oder einer vergessenen Sackgasse geisterhaftes Tuscheln, aber wenn er nachforschte, fand er nichts und niemanden. In dieser versunkenen, verlassenen Stadt weigerten sich sogar Georges eigene Halluzinationen, ihm Gesellschaft zu leisten.
Sobald die Morgenfrühe anbrach, rieb er sich die Augen, verzog das Gesicht zu einem Gähnen und fiel in einer Parodie der Erschöpfung in die nächstbeste Koje. Doch vergeblich: Morpheus ließ sich nicht überlisten. George stierte an die Kabinendecke empor, betatschte das Bettzeug. Und dann, gegen Mittag, fing er so gewaltsam mit den Zähnen zu knirschen an, daß er befürchtete, Funken stöben hervor, und vergegenwärtigte sich, ein neuer Tag war da. Habe ich geträumt? überlegte er. An einen Traum erinnerte er sich gern, weil er bedeutete, daß er tatsächlich geschlafen hatte.
»Sei drauf gefaßt«, hatte Morning ihm nahegelegt.
Am Montag kümmerte er sich um den Baum. Er ging in den Raketenbunker und sah sich die Restexemplare des Projekts Zitrusfrucht an, stieß schließlich auf den Zwerg des Obstgartens, ein kaum eins zwanzig hohes, für den beabsichtigten Zweck bestens geeignetes Bäumchen mit dünnen Ästen und mickriger Frucht; kein Wunder, daß man es nicht für die ehrenvolle Auszeichnung ausgewählt hatte, an ihm einen Kriegsverbrecher zu lynchen. Er sägte es ab, nahm es mit und stellte es in seiner Kabine auf.
Am Dienstag besorgte er Weihnachtsschmuck. Mit einem Hammer aus dem unteren Torpedodeck
Weitere Kostenlose Bücher