So muss die Welt enden
auskannten.«
»Echt? Das hätte ich gerne gesehen. Betätigen Sie sich schon mal als Babysitterin, Missis Covington?«
»Ich wäre froh und glücklich, dürfte ich Babysitterin Ihrer Tochter sein. Sind Sie sicher, Sie wollen für sie eine ARES-Montur?«
»Natürlich.«
»Ich schlage Ihnen einen Handel vor. Sie tun mir diesen Gefallen – eine Grabinschrift für meine Eltern zu texten –, und ich sorge dafür, daß Holly kostenlos an eine ARES-Montur gelangt.«
»Kostenlos?«
»Kostenlos.«
»Ich kenne Ihre Eltern doch überhaupt nicht.«
»Gehen Sie so vor, als wären es nicht meine, sondern Ihre Eltern.«
»Meine Eltern sind tot.«
»Was steht auf ihren Grabsteinen?«
»Nichts. Nur die Namen und Daten. Ich bin Unitarier.«
»Was könnte denn daraufstehen?«
»Keine Ahnung.«
»Lassen Sie uns mit Ihrer Mutter anfangen.«
»Hm?«
»Ihre Mutter. Wie war sie?«
»Sie möchten, daß ich Ihnen was über meine Mutter erzähle?«
»Bitte.«
»Meine Mutter…«, sagte George. »Tja… Jedenfalls hätte meine Mutter ein leichteres Leben verdient gehabt. Sie hat sich bloß immer verschlissen, dauernd ihre Unzulänglichkeiten breitgetreten… Sie ist so was wie eine umgekehrte Angeberin gewesen, glaube ich. Sie hatte Diabetes, aber ich bin der Ansicht, ihre eigenen, überhöhten Ansprüche an sich selbst haben sie das Leben gekostet.« Hatten diese Gedanken sich seit langem in ihm gestaut und nur auf Mrs. Covingtons Fragen gewartet? »Ich hatte sie sehr lieb. Sie war besser, als sie es ahnte, und…«
»›Besser als sie es ahnte‹«, sprach Nadine ihm mit bedeutungsschwerer Betonung nach. »Da, schon haben Sie’s geschafft, das paßt genau zu meiner Mutter. ›Sie war besser, als sie es ahnte.‹ Das sagt mir zu.«
»Als Grabinschrift?«
»Dann wollen wir über Ihren Vater reden.«
»Er war ein schlichterer Mensch als meine Mutter. Höchstwahrscheinlich war er der uneigennützigste Mensch auf Erden.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Immer wenn ich mich an ihn erinnere, sehe ich ihn lächeln. Er hat sogar gelächelt, wenn er unglücklich gewesen ist. Man hätte ihm, nur weil er so ein netter Mensch war, viel mehr Geld zahlen müssen. Seine Arbeit hatte keinen tieferen Sinn. Er hat nie erfahren, was er hier eigentlich sollte. Sein Auto hat nie ganz funktioniert.«
»›Nie erfahren, was er hier sollte…‹ Du meine Güte, ja wahrhaftig, das ist genau richtig. Mein Vater ist auch so. Ihr Talent zum Abfassen von Grabmaltexten ist außerordentlich ausgeprägt, junger Mann. Sie haben die Montur zweimal verdient. Wieviel wird der fertige Stein kosten?«
»Siebenhundertfünfzig Dollar plus Steuer. Normalerweise verlangen wir die Hälfte als Anzahlung und erheben den Rest nach Fertigstellung.«
Nadine öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr eine Rolle abgegriffener Geldscheine. »Sie brauchen mir nichts herauszugeben«, sagte sie und händigte George neunhundert Dollar aus. Sie drückte ihm die Pranke. Ihre Haut fühlte sich lebendig und warm an, keineswegs wie die klamme Knochenhand eines Gespensts. »Und ich möchte auch keinen Kaufvertrag. Wir müssen einander vertrauen.«
»Kommen Sie am Montag wieder, dann können Sie den Bleistiftentwurf genehmigen. Aber wir sollten vorher eine Schrift aussuchen.« Ich vertraue ihr, dachte George.
»Wenn Sie eine Schrift aussuchen, wird sie mir recht sein. Entscheidend ist, daß die Aussage stimmt. Obenhin setzen Sie einfach: ›Sie war besser, als sie es ahnte.‹«
»Keinen Namen?«
»Ich werde ja wissen, wer dort begraben liegt. Und darunter: ›Er erfuhr nie…‹«
»›Er erfuhr nie, was er hier sollte.‹«
»Genau.«
»Und die Daten?«
»Mit Daten brauchen wir uns nicht abzugeben.«
Nadine holte einen alten, zerfledderten Stadtplan aus der Handtasche und entfaltete ihn auf Grace Loquatchs Grabstein. George erkannte darauf – in Farbe und detaillierter Wiedergabe, bei der man alle wichtigen Gebäude aus der Vogelperspektive abgebildet hatte – das Küstenviertel Bostons. Längs der Knicke zerbröselte das Papier. In den Löchern hatten sich komplette Kaufhäuser aufgelöst.
»Dieser spezielle ARES-Monturen-Handel ist etwas schwierig zu finden«, sagte Nadine. »Und heutzutage lassen die Kartenzeichner kleinere Straßen gern aus.« Sie deutete auf eine leere Stelle der Moonburn Alley. »Da ist es, wohin Sie müssen – Theophilus Carters Wahnsinnssonderangebote- Ladengeschäft, Daniel-Düsentrieb-Boutique hat er es genannt. Ich werde ihm ausrichten,
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