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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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seltsam flott und jung ihre Stimme klang, befand George.
    »Weshalb haben Sie mich belauert?«
    »Nicht belauert. Ich habe Ihnen mit Freuden zugeschaut. Sie sind ein guter Mensch, George Paxton, ein Heiliger in einem Gewerbe, in dem es von Leichenfledderern wimmelt.« Obwohl man ihr keine Spur eines ausländischen Akzents anhörte, redete sie, als wäre das Englisch für sie eine Fremdsprache. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«
    Nach wie vor strömten von dem Gespenst Empfindungen des Friedens und der Zufriedenheit über auf George. »Wir haben einen Dienstleistungsbetrieb«, sagte er. »Das Produkt ist zweitrangig. Wie müssen genauso empfindsam auftreten wie der Inhaber eines Beerdigungsunternehmens. Aber es ist schon erstaunlich, was die Leute sich so vorstellen, wenn sie sich an uns wenden. Es kommt uns darauf an, daß dem Kunden bei seiner Wahl wohl zumute ist, auch wenn er den billigsten Stein kauft.«
    »Darin sind Sie geschickt.« Nadine trat vor einen Elektroheizkörper und fing an, sich den Winter aus den Fingerknochen zu massieren.
    »Kein Grabstein kann die Trauer vertreiben, gnädige Frau, aber er kann ein Trost sein.« Seit er drei gewesen war, hatte George keinen solchen Spaß mehr an einer schlichten Unterhaltung gefunden. »Aber ich will Ihnen was verraten, das mich auf die Palme bringt. Nämlich wenn die Leute Steine kaufen, die… äh… Also solche, die…« Wie sollte er sie nennen? »Gewissensberuhigungs-Grabsteine.« (Das empfand er als den richtigen Ausdruck.) »Ich denke da an… Na ja, den Namen will ich verschweigen, aber er hat sein Kind wie ein Stück Dreck behandelt. Und dann, nachdem der Bub ertrunken war, was macht der Kerl? Er gibt bei uns ’ne Nachbildung des Tadsch Mahal in Auftrag.«
    »Ich muß Ihnen nun meinen Auftrag erteilen«, sagte Nadine. »Einen gewöhnlichen Stein, keinen Gewissensberuhigungs-Grabstein. Ich brauche eine Grabinschrift und etwas, auf das sie gesetzt werden kann.«
    »Ist es eine persönliche Vorausbestellung?« fragte George.
    »Eine was?«
    »Möchten Sie den Stein für sich?«
    »Nein. Mir nahestehende Personen liegen im Sterben… Meine Eltern.«
    »Tut mir sehr leid.« Guter Gott, welches Alter mochten ihre Eltern haben?
    »Es muß ein dauerhafter Grabstein sein«, sagte Nadine.
    »Wir führen den hochwertigsten Granit.«
    »Dieses Material gefällt mir am besten.« Nadine strich mit der Hand über das Modell aus südafrikanischem Granit, dessen hochpolierte Fläche wie ein Spiegel glänzte. »Darin kann ich mein Gesicht sehen.«
    »Unsere Steine haben extreme Festigkeit, sie vertragen die detailliertesten Meißeleien. Außerdem ist die Porosität minimal, sie nehmen keinerlei Feuchtigkeit auf. Wir geben uneingeschränkte Garantie, die für Sie und Ihre Erben oder Bevollmächtigten gilt. Sollte sich ein Riß bilden, und wenn’s nur ein Haarriß ist, erhalten Sie kostenlos einen neuen Grabstein.«
    »Ich habe keine Erben oder Bevollmächtigten. Meine hauptsächliche Sorge betrifft die Inschrift. Ich lege Wert auf… das Rhetorische.«
    »Auf das Rhetorische?« wiederholte George. »Wirklich?« fragte er unbesonnen. »Aber warum denn das, Gnädigste? Ich meine, es ist ja nicht so, als ob der Text in Stein gehauen werden sollte, oder so… Na ja, das ist so ein kleiner Scherz, den wir uns hier ab und zu gestatten.« Er griff ins Regal über seiner Werkbank und zog einen Plastikhefter heraus, der zwanzig zweizeilig getippte Beispiele für Grabinschriften enthielt. Das Verzeichnis fing mit Nummer Eins an, EWIG LEBST DU IN UNSEREN HERZEN, das zweite Beispiel lautete RUHE IN DEN ARMEN DES HERRN JESU CHRIST, das dritte ICH BIN DIE AUFERSTEHUNG UND DAS LEBEN; so und ähnlich ging es weiter bis Nummer Zwanzig, UNSERE LIEBE HEISST GOTT. Er reichte die Liste der Alten, die sie mit gespitzten Lippen durchlas.
    »Nein, nein«, meinte sie schließlich mit Nachdruck, indem sie auf das Papier tippte. »Darin steckt keine Ehrlichkeit. Ich möchte, daß Sie die Inschrift verfassen.«
    »Ich schreibe keine Grabinschriften, Gnädigste. Ich bringe sie nur an.«
    »Zeigen Sie mir, wie Sie’s machen«, verlangte Nadine, hob das Mehrzweckmesser von der Werkbank.
    Als George das Messer von ihr entgegennahm, fuhr ihr Daumen über die Schneide. Zuerst dachte er, sie wäre unverletzt geblieben – aber nein, die Klinge hatte ihr altes Fleisch zerteilt. Erschrocken schnappte er einen Mundvoll Luft, und im nächsten Moment stieß Nadine mit gleicher Heftigkeit Luft aus.

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