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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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mit seinen klaren, lebhaften Umrissen. Der Wind blies stärker. Allmählich troff Meerwasser aus Georges Haar. Er steckte die Glasmalerei ein, ehe sie naß werden konnte, tat sie sich unters Hemd. Als er an den Horizont spähte, war Nadine Covingtons Segelboot zu einem senkrecht-geraden, weißen Span geworden, der sich südwärts auf die Roßbreiten zubewegte.

 
KAPITEL 8
     
    Worin unser Held zahlreiche Knalleffekte des Atomkriegs kennenlernt, darunter auch Sonnentod-Syndrom, Zeitfalten und Generationenannullierung

»Ich hatte eine glückliche Kindheit«, sagte George am Anfang seiner ersten psychotherapeutischen Sitzung.
    »Glückliche Kindheit wird überschätzt«, erwiderte die Therapeutin.
    Als George ihr das erste Mal begegnete, hatte er gemeint, Morning Valcourt eine verschwommene Attraktivität anzumerken, doch jetzt sah er, daß das Mundtuch, das sie während ihrer Unterhaltung in der Strahlenschäden- Behandlungsabteilung trug, mit schorfähnlichen Flecken besäte Wangen verborgen hatte, eine Nase, die dauernd Gestank zu riechen schien, sowie einen Mund, der wirkte, als neigte er ständig zu einem Zähnefletschen. Aber Leonardo hatte sie mit herzhaftem Lächeln gemalt… Offenbar war er ein Künstler mit beachtlicher Phantasie gewesen.
    »Ich will ehrlich zu Ihnen sein«, sagte Morning Valcourt. »Beim Überlebenstrauma droht dem Betroffenen ein plötzlicher seelischer Zusammenbruch. Um dagegen vorzubeugen, müssen wir dem Schattenreich des Ableugnens gewisse Tatsachen entreißen und sie ans Tageslicht des Bewußtseins bringen.«
    Konnte dieses verblasene Weibsstück wirklich Aubreys künftige Mutter sein? Wann mochte er es zum erstenmal von Herzen lächeln sehen?
    »Hatten Sie in letzter Zeit Schwierigkeiten beim Schlafen?« fragte Dr. Valcourt.
    »’ne Zeitlang ist bei mir Schlafwandeln vorgekommen. Zwei Leutnants haben mich davon kuriert.«
    »Welche Leutnants?«
    »Max und Moritz. Sie haben gesagt, sie wären immer bei mir gewesen und hätten auf Einlaß gewartet.«
    »Aber Sie schlafen nachts durch.«
    »Ja.«
    »Haben Sie an Gewicht verloren?«
    »Nein.«
    »Ist die Verdauung gut?«
    »Bestens.« Sich in diese Frau zu verlieben, würde ehrgeizige Anstrengungen erfordern.
    »Seit einiger Zeit verschreibe ich viel Beruhigungsmittel«, sagte Dr. Valcourt, »aber in Ihrem Fall möchte ich lieber davon absehen. Als man Sie gefunden hat, haben Sie eine goldgelbe ARES-Montur umklammert.«
    »Ich habe sie von einem Erfinder. Professor Theophilus Carter. Ich mußte ihm einen Abgabevertrag unterzeichnen.«
    »Ich weiß. Ein Geständnis der Komplizenschaft. Ich mißbillige derartige Sottisen. Erzählen Sie mir, was passiert ist, nachdem Sie Carters Laden verlassen hatten.«
    George saugte durch die Zähne Luft ein, so daß ihm die Zahnwurzeln wehtaten. Er sprach über sengend-grelles Licht, eine Pilzwolke, über Brände, Verletzte, schwarzen Qualm und Schreie nach Wasser, über Menschen, die in Spezialkliniken gehört hätten, die nicht mehr existierten. Jeder Schilderung schloß sich eine Pause der Verzweiflung an, so daß die Stunde fast verstrichen war, als er schließlich auf das beschädigte Pferd für den extralangen Ritt kam. »Sie hatte das blöde Ding wahnsinnig gern«, sagte er. In seiner Kehle schien Narbengewebe zu wuchern.
    »Es ist unerträglich, nicht wahr?«
    Die Sanftheit in Dr. Valcourts Stimme verdutzte George. »Unerträglich«, wiederholte er.
    »In Chicago war der Winter jedesmal gräßlich kalt«, sagte Morning leise, »aber ich hatte viele Bücher in meiner Wohnung, Regale vom Boden bis an die Decke, darum hatten ich und die Katzen es immer behaglich. Ich hatte sämtliche Autoren mit Herzenswärme auf der Windseite stehen, Emily Dickinson, Scott Fitzgerald. Henry James hat seine eigene Aura. Ich habe nur einen Block von meiner jüngeren Schwester entfernt gewohnt, sie war methodistische Pastorin und auf gewisse Weise eine tüchtigere Therapeutin als ich. Wir nannten Linda das Weiße Schaf der Familie. Ich wünschte mir nichts anderes, als daß ich sie anständig begraben könnte.« Leonardo hatte recht gehabt: Morning konnte lächeln. Allerdings hatte sie jetzt nicht das fröhliche Lächeln der Mutter auf dem Bild im Gesicht, sondern das gezwungene, tapfere Lächeln jemandes, der mit den Tränen rang. »Linda ist der beste Mensch gewesen, den ich kannte.«
    »Das wäre ’ne schöne Grabinschrift. Ich frage mich häufig, wie ihnen wohl zumute ist.«
    »Ihrer Frau und Ihrer

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