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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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an braunen Leitungsdrähten. Die stille Luft war abgestanden und trüb. Er wurde sich des U-Boot-Geräuschs bewußt, eines unsteten Tuckerns. Unter anderen Umständen hätte es ihn verstimmt, sich verirrt zu haben, aber er fühlte sich wegen seiner strategischen Entscheidung noch außergewöhnlich wohl. Ihm verdankten die Männer, Frauen und Kinder Rußlands es, daß ihnen ein Vergeltungsschlag erspart blieb. Das ist mein Denkmal für Holly, dachte er, geradeso herrlich und dauerhaft wie ein Block Granit.
    Er klopfte an Türen. Die Echos hallten den leeren Korridor auf und ab. Er drückte auf die Türklinken. Jede Räumlichkeit war so fest verschlossen wie die scheunengroße Gruft, die die Familie Sweetser auf dem Friedhof Rosehaven stehen hatte. Furcht kroch durch Georges Brust und Bauch, verursacht durch die insgeheime Überzeugung, gleich müßten Max und Moritz aufkreuzen, um ihn irgendeiner neuen Marterung zu unterwerfen. Herrje, jeder hätte diesen albernen Abgabevertrag unterschrieben. Jeder. Schwarzes Blut. Geradeso wie Mrs. Covington. Über gewisse Sachverhalte sollte man nicht zu eingehend nachdenken. Ich denke einfach an etwas anderes. Holly hat Rußland gerettet…
    Unter der Ritze einer nahen Tür sah er orangeroten Schimmer aufleuchten und wie Brandung zurückweichen. Er ging hin und klopfte an.
    »Herein.«
    Eine Frauenstimme. Als er eintrat, erblickte er ein Ungeheuer. Ja, sie treiben wieder ihr Unwesen, dachte er, versuchen mich einzuschüchtern…
    Das Monstrum ähnelte einem riesigen, geflügelten Hai. Die Augen glommen blutrot, aus den Nüstern stoben Flammen und Rauch, als wären sie die Kamine eines Vulkans.
    George hatte diese Sorte Vieh schon einmal gesehen.
    »Hallo, George.«
    In der Mitte der Kabine stand eine alte Dame über die Art von Apparatur gebeugt, die man, wie George infolge eines Besuchs mit Holly im Bostoner Jugendmuseum wußte, Laterna Magica nannte. Ein von Rauch durchwallter Lichtkegel strahlte auf den projizierten Geier zu. Auf Nase und Wangen der Frau lagen Schatten. Sie entfernte das Geierbild aus dem Apparat und legte es unter einen Stapel ähnlicher Glasmalereien.
    »Missis Covington! Ich hätte nie damit gerechnet, Sie hier anzutreffen.«
    »Wie nett, Sie wiederzusehen, George.«
    »Die Bleistiftentwürfe, über die wir gesprochen hatten, sind noch fertig geworden.« Wie gewohnt erfüllte Mrs. Covingtons Gegenwart ihn mit Wohlgefühl. »›Sie war besser, als sie ahnte‹, entsinnen Sie sich? ›Er erfuhr nie, was er hier sollte.‹ Sah ziemlich gut aus. Modell Sieben-null-drei-vier. Wahrscheinlich sind sie verbrannt.«
    »Wir dürfen uns nicht an Wildgrove aufhalten«, meinte Nadine. »Ich fand das Örtchen goldig. Die Kinder auch. Nicki Frostig ist in meinen Armen gestorben. Er hatte eine Verletzung infolge der Druckwelle.« Sie wies auf die Glasmalereien. »Es gibt Leute, die behaupten, diese Bilder zeigten die Zukunft.« Ihr Regenmantel wirkte feucht und glibberig, als bestünde er aus lebenden Aalen. »Glauben Sie an Prophezeiungen?«
    »Ich bin Unitarier, gnä’ Frau.«
    »Sie sind seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie. Leonardo da Vinci hat sie gegen Lebensende gemalt. Der Seher Nostradamus, dieser geniale, couragierte Seuchenarzt und Gelehrte der Renaissance, hat ihre Bedeutung niedergeschrieben. Möchten Sie die Zukunft sehen, George?«
    Nadine schob ein neues Bild ins Gerät. Auf einer endlosen Ebene aus Eis stand ein stämmiger, muskulöser Bartträger.
    »Du lieber Gott«, sagte George, »anscheinend verschlägt es mich wahrhaftig in die Antarktis.«
    Nadine wechselte Bilder. George sah sich im Silberdollar-Kasino mit Randstable und Wengernook beim Pokern.
    Während ein Bild dem anderen folgte, stellte George fest, daß die Präsentation erheblich abwechslungsreicher und vielfältiger als die vorangegangene Dia-Vorführung des Nachmittags ausfiel. Bild: George saß an einer Festtafel und aß Schinken. Bild: Kapitän Sverre zerschlitzte sich mit einem Messer den Unterarm. Bild: Wieder der Geier, diesmal fraß er einen toten Pinguin.
    Eine glückliche Familie schwuppte an die Wand: Mann, Frau, Kind. Alle drei trugen ARES-Monturen. Das Kind hatte eine goldgelbe ARES-Montur. Die Familie hatte Oberkörper und Arme zu einer verschlungenen Umarmung verknotet. Ihr Lächeln schien das Licht der Flamme, die in der Laterna Magica glühte, mit doppelter Leuchtkraft zurückzuwerfen.
    Keine visuelle Darstellung, ob gemalt, fotografiert oder geträumt, hatte George

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