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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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ausgiebig an, daß er das Zeitgefühl verlor und infolgedessen mehrere Minuten zu spät zur Vorstellung von Sergej Bondartschuks überlanger Filmversion von Krieg und Frieden eintraf.
    »Wenn sich die verderbten und schlechten Menschen zusammentun und zu einer Macht werden«, sagte aus dem Off der Erzähler, »so müssen die ehrlichen Menschen das gleiche tun.« Pierre Besuchow und Fürst Andrej Bolkonski spazierten durch den Park.
    Die Schlachten von Schöngrabern und Austerlitz genoß George. Weit, weit hin zogen sich die Reihen der Schützen, erstreckten sich bis über den Erfassungsbereich der Kameras hinaus.
    Sobald das Licht zur ersten Pause anging, stellte George fest, daß in dem Mini-Kino nur er selbst, ein Matrose, Randstable und ein älterer Mann saßen, der sich jetzt in der Reihe vor George zu ihm umdrehte und dank seines struppigen Barts und faßartigen Wansts als Double die Stunts für den Weihnachtsmann hätte erledigen können.
    »Hallo, mein Freund.« Als das Weihnachtsmann-Double lächelte, spreizte sein Bart sich wie das Rad eines Pfaus.
    »Sind Sie auch ’n Erebus-Evakuierter?« erkundigte sich George.
    »Brian Overwhite«, sagte der Weihnachtsmann und nickte. »Von der Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsbehörde der Vereinigten Staaten.«
    »Ich habe schon gehört, daß Sie an Bord sind.«
    »Ich hatte gerade die Flugkarten nach Genf erhalten – wir wollten nämlich gerade die STIRB-Drei-Verhandlungen anleiern –, da kommt doch dieser Krieg… Unglaublich, nicht wahr? Der menschliche Geist kann so was gar nicht verkraften. Nuklearschläge. Mißlungene Abschreckung. STIRB Drei hätte für das Raketen-Startgewicht und die Verbreitung der Anti-Satelliten-Raketen klare Grenzen bestimmt… Wenigstens habe ich das gehofft.«
    »Ich bin George Paxton.« George machte Anstalten, Overwhite die Hand zu schütteln, aber der rechte Arm des Abrüstungsunterhändlers hing eingegipst in einer Schlinge. »Haben Sie an einer Schlacht teilgenommen?«
    »Nein, ich bin von zwei übergeschnappten Leutnants mißhandelt worden. Waren sogar Verwandte.«
    »Ich weiß, wen Sie meinen.«
    »Sie sagten zu mir: ›Ihr Lebtag haben Sie andere Leute in ihrer Freiheit eingeschränkt, nun schränken wir mal Sie in Ihrer Freiheit ein.‹ Und haben mir doch glatt den Arm gebrochen. Die Scheißelle ist hinüber. Ich habe den Vorfall Kapitänleutnant Grass gemeldet. Und denken Sie sich mal: Der Mann hat mich ausgelacht. Jawohl, er hat gelacht.«
    »Man könnte meinen, es gäb irgendwie Vorurteile gegen uns«, sagte George. »Nehmen Sie zum Beispiel mal mich. Mich hat man in ’n Torpedorohr gestoßen.«
    »Vorurteile? Ja, ich glaube, das ist das passende Wort.« Overwhite kratzte an seinem Gips, als ließe sich dadurch ein Jucken beheben. »Sagen Sie, George, was macht Ihnen mehr Sorgen, die Gamma- oder die Betastrahlen?«
    »Was?«
    »Die Gammastrahlen zwitschern einem stracks durch den Körper, zack-zack, aber die Betastrahlen setzen sich im Essen fest, das Sie verzehren, und in der Atemluft.« Overwhite langte unter seinen Bart und strich sich über die Kehle. »Sie sollten vor allem auf die Anreicherungen in der Schilddrüse achten. Die Schilddrüse speichert Betastrahlen, besonders bei Kindern. Es ist doch schrecklich, wenn man nicht mal in aller Ruhe so ein spotteinfaches Scheißrüstungsbegrenzungsabkommen aushandeln kann.«
    George hätte gerne Krieg und Frieden weitergeguckt. »Guter Film, hä?«
    »Ich habe Verständnis für Ihren Standpunkt. Acht Stunden unbegreiflicher Filmtechnik im Dienste sowjetischer Propaganda, die im Trüben fischt, und trotzdem gibt’s jede Menge zu bewundern – die wirksame Grandeur, das sorgfältig rekonstruierte tolstoische Ambiente.« Overwhite massierte seinen Ellbogen. »In den Ellen entsteht so gut wie nie Krebs.«
    »Die Vorstellung ist schlecht besucht«, konstatierte George.
    »Die Matrosen wollen doch nur Clint Eastwood und Titten sehen.« Overwhite klammerte die Finger zusammen. »In der Regel bildet Krebs sich auch nie in Fingern.« Er rieb sich den Brustkorb. »Um Brustkrebs brauchen wir Männer uns im allgemeinen nicht zu sorgen.«
    Im späteren Verlauf des Nachmittags schlug Napoleon in der Schlacht von Borodino die Russen in die Flucht, starb Andrej an seinen Verwundungen, okkupierte die Große Armee Moskau, mußte Napoleon seinen verlustreichen Rückzug antreten und blieb Pierre bei der ebenso reiz- wie temperamentvollen Natascha Rostowa.
    Wenn man sie erst einmal näher

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