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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Reifen zu springen.
    Eier flogen in hohem Bogen aus den Reihen der Demonstranten, bekleckerten die Außenseiten des Raupenfahrzeugs. Dickliches Geklumpe embryonischen Pinguins sickerten an Georges Fenster hinab. Aus der mit dem Handschuh einer ARES-Montur geschützten Faust einer zornigen jungen Asiatin knallte ein Stein gegen die Windschutzscheibe, hinterließ eine sternförmige Delle.
    »Das reicht!« brüllte Dimitro Eliopulos, ein dicker Brillenträger launischen Temperaments und potentieller griechischer Herkunft. Er patschte den Handteller aufs Steuerrad. »Von nun an bleiben wir den Wohngebieten fern.«
    Der Konvoi durchquerte Südpol-Gehenna 414, ohne daß weitere Zwischenfälle vorkamen.
    »Hier haben wir neunzig Prozent des gesamten Eises der Welt beisammen«, sagte Dimitri im späteren Verlauf des Nachmittags. »Sehen Sie dort den Gletscher? Mulock. Mein Geburtsort.«
    »Geburt?«
    »Für mich war’s ’ne Geburt, Paxton. Staub zu sein, dann plötzlich einen Körper und Gedanken zu haben, durchs Eis ans Licht zu dringen… Na ja, warme Decken und ’ne Zitze für mich allein hatte ich da nicht, aber es war ’n verdammt tolles Erlebnis.«
    Am Rand von Eis-Gehenna 415 tanzte in ihrer ARES-Montur eine bulgarische Ballerina. Trotz der Umhüllung vermittelten ihre Bewegungen den Eindruck ausgeprägter Anmut, und ihr Gesicht spiegelte die Art intellektueller Überheblichkeit wider, die George schon so oft bei Morning Valcourt beobachtet und bewundert hatte. Morning tut in diesem Moment irgend etwas, vergegenwärtigte er sich. Etwas Alltägliches? Schläft sie? Ißt sie? Wahrscheinlich ist, daß sie sich um etwas Ernstes kümmert. Sie beschäftigte sich mit ernsthaften Überlegungen zu Leonardos Geier-Wachtraum…
    Zwischen Gehenna 416 und 417 sah man einen Norweger mit Fischernetz und Eisensäge sich abmühen, um in der Eisdecke ein Loch zu schaffen. Eine Schar Pinguine watschelte in Sicht. Antarktika hatte, erläuterte Dimitri, das einzige übriggebliebene Ökosystem des Planeten, ein Dystopia der Vögel und aquatischen Säuger, das seiner unausbleiblichen Stunde harrte. Die vertrauensvollen Mienen der Pinguine, ihre Plüschtier-Niedlichkeit, ihre völlige Ahnungslosigkeit bezüglich des Vogels, der gelegentlich einen Schreibtisch abgab, machten George unendlich traurig.
    »He, Paxton, vielleicht können Sie eine Meinungsverschiedenheit klären«, sagte Dimitri. »Ich wäre Grieche geworden, ja? Das heißt, ich hätte alle anderen Griechen gehaßt, stimmt’s?«
    »Ach du lieber Himmel!« Gila Guizot lachte. »Das ist genau verkehrt. Du hättest die Nicht griechen gehaßt.«
    »Das leuchtet mir nicht ein«, antwortete Dimitri.
    »Sieh mal mich, ich wäre Französin geworden«, sagte Gila. »Also Katholikin.«
    »Und Sie wären darauf stolz gewesen«, sagte George.
    »Stolz auf die französischen Katholiken?« fragte Dimitri.
    »Stolz darauf«, berichtigte George geduldig, »eine französische Katholikin zu sein.«
    »Da, hörst du’s?« rief Gila. »Ich habe recht.«
    »Was hätte sie tun müssen«, erkundigte sich Dimitri, »um französische Katholikin zu werden?«
    »Ihre Eltern hätten französische Katholiken sein müssen«, gab George Auskunft.
    »Mir ist, als könnte ich mich an irgend was über Protestanten erinnern«, sagte Dimitri. »Sie wäre auch stolz auf die Protestanten gewesen, oder?«
    »Sie wäre darauf stolz gewesen«, entgegnete George, »eine Protestantin zu sein. Das heißt, wäre sie eine geworden.«
    »Sie wäre nur Katholikin geworden? Nicht auch Protestantin?«
    »Beides ist man nie gewesen.«
    »Warum nicht?«
    »Man war’s einfach nicht«, sagte George.
    »Schade«, meinte Dimitri. »Dann hätte sie doppelt so stolz sein können.«
    »Ich glaube, wäre sie beides geworden, wäre sie weniger stolz gewesen.«
    »Verarschen Sie mich nicht, Paxton.«
    »Was sind Sie?« fragte Gila.
    »Unitarier«, sagte George.
    »Das waren die Leute, die gegen die Juden gewesen sind, habe ich das richtig in Erinnerung?« fragte Gila.
    »Nein«, widersprach George.
    »Gegen die Moslems?«
    »Nein.«
    »Paxton ist auf alle stolz«, äußerte Dimitri, ein wahrer Schlauberger.
    Die Nacht brach an, aber keine Dunkelheit, lediglich die gleichbleibende Düsternis des antarktischen Spätsommers. George träumte von Spermatiden, die in die Epididymis vordrangen und hübsche, kräftige Schweife entwickelten.
    In der Morgenfrühe überquerte der Konvoi das Vorfeld des Nimrod-Gletschers. Eismassen krochen

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