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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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Zimmer etwas, also bleibt sie liegen und hofft, daß das Licht wieder ausgehen möge. Sie wartet... Nach etwa einer halben Stunde schläft sie in der Stille wieder ein, es war wohl ein blinder Alarm.

    Aber nur kurz, denn dann geht der Wecker. Sie schreckt erneut aus dem Tiefschlaf auf, um ihren Wecker abzustellen. Als sie halbwegs wach ist, fällt ihr ein, daß sie ja gar keinen Wecker mithat und daß es deshalb auch nicht ihrer sein kann.
    Stimmt. Der Wecker gehört in das Nachbarzimmer. Anscheinend hat der Besitzer einen gesegneten Schlaf. Sie zieht sich die Bettdecke über die Ohren, um weiterschlafen zu können, aber — fixiert auf das schreckliche Geräusch — hört sie es durch die Bettdecke und durch die Wand hindurch.
    Eine halbe Stunde vergeht, und der Wecker quäkt immer noch. „Wie lange hält eine Batterie in einem Wecker?“ ist ihr neues Studienthema für die heutige Nacht. Nach exakt einer Stunde verstummt der Wecker. Ist die Batterie leer, gibt es eine Vorrichtung, die den Wecker nach exakt einer Stunde abstellt oder hat der Besitzer ihm nun doch noch den Hals umgedreht? Die Antwort ist ungewiß und ihr Studienthema damit beendet.
    Ein Blick auf die Uhr sagt ihr, daß es erst halb sechs ist und ihr Zeit genug bleibt, um noch eine Tiefschlafphase zu genießen.

    Bevor Samantha sich auf die heutige Etappe macht, schaut sie noch einmal gründlich in den Reiseführer. Es sind nur noch fünfundfünfzig Kilometer und ein paar Tage bis ans Ziel. Jetzt, wo das ersehnte Ziel in so greifbarer Nähe ist, beginnt bei ihr der Abschiedsschmerz. Plötzlich möchte sie gar nicht mehr so schnell ankommen — ein seltsames Gefühl. Es kommt ihr in den Sinn, die Ankunft in Compostela noch weiter hinauszuzögern. Sie nimmt sich vor, ganz kleine Tagesetappen zu gehen und noch einmal jede einzelne Minute des Weges ganz bewußt auszukosten.
    Der Gedanke, daß nun bald alles vorbei sein wird, spült eine gewisse Traurigkeit in ihr hoch. Bald schon heißt es Abschiednehmen. Abschied von den saftigen Wiesen und Weiden, Abschied von den eintönigen Tagesabläufen und Ritualen des Wandertages. Was davon kann sie mit in ihren normalen Alltag nehmen? Was von all den Gedanken wird ihr Leben daheim nachhaltig verändern?

    Die Morgenluft streichelt ihre Haut. Ein leichter Wind geht und bringt die Düfte der Pflanzen in Nasenhöhe. Heute morgen ist das Laufen wieder sehr genußvoll. Sie quert kleine Bachtäler und durchwandert Hohlwege, wie auch schon in den letzten Tagen. In einem kleinen Dorf fällt ihr ein öffentlicher Waschplatz auf. Die Grundmauern scheinen aus alten Zeiten zu sein. Sein Dach ist neu, und so geht sie davon aus, daß dieses alte Ritual der gemeinsamen Wäsche immer noch existiert.

    Auch wenn sich dort im Moment niemand befindet, läßt ihre Fantasie ein lebendiges Szenario vor ihren Augen entstehen. Frauen mit Kopftüchern und bunten Kleidern stehen um das gemauerte Quadrat und rubbeln ihre Wäsche an den eingebauten Waschbrettern. Dabei erzählen sie sich den neuesten Dorfklatsch, singen und lachen. Sie kann die Seife riechen. Sie schaut in ihre Gesichter und sieht Zufriedenheit und sehr viel Schönheit, sowohl bei den Alten wie auch bei den Jungen. Sie spiegeln eine perfekte Gemeinschaft wider.

    Nach zwei Stunden kommt sie an eine Bar, die mitten auf einer grünen Wiese steht. Eher ein Provisorium, und es scheint so, daß sie eigens für die Pilger und deren Versorgung erbaut worden ist. Ja, die Zeiten der Integration der Pilger in das Dorfleben sind hier in Galicien vorbei. Sie hat bereits seit einigen Tagen das Gefühl, daß die Einheimischen nicht wirklich etwas mit dem riesigen Pilgerstrom zu tun haben wollen.

    Lieber würde Samantha mitten im Alltagsgeschehen der Menschen sein. Da es aber hier keine Alternative gibt, nimmt sie das Angebot eines Frühstücks so an, wie es ist. Und das ist gar nicht mal so schlecht. Frisches Brot, frischer Orangensaft und Schinken. Sie überlegt, ob diese Kombination mit Schinken für sie ein Ritual ist oder ob ihr Verlangen nach Schinken bereits an Sucht grenzt?

    Am Nachbartisch sitzt eine Gruppe junger Frauen. Vor einer von ihnen steht ein großer Teller mit süßem spanischem Frühstücksgebäck. Die junge Frau schaut genußvoll darauf und stöhnt in einem spielerischen Ton: „Oh, könnte ich doch nur von dieser Sucht lassen!“ Alle lachen, und eine andere stibitzt ihr gleich ein Stück vom Teller mit den Worten: „Damit du dich damit nicht so alleingelassen

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