So nah am Leben
nicht erst auf die Idee gekommen, daß sich das jetzt ändern könnte. Doch bereits nach wenigen hundert Metern wird sie eines Besseren belehrt. Der Weg führt sie an einem neuen Gewerbegebiet vorbei. Zwar ist alles parkähnlich angelegt, mit riesigen Rasenflächen, doch gibt es hier keinen Schatten. Im Laufe der Zeit bekommt sie das Gefühl, als würden alle Flüssigkeiten in ihrem Körper zu kochen beginnen.
Bis sie sich richtig darüber klar wird, hat sie bereits die Hälfte der Strecke hinter sich, und eine Umkehr würde nun auch nichts mehr ändern. Und so wird ihr deutlich, daß ihre Vorstellung oder — um beim Thema zu bleiben — ihre Wahrnehmung nicht mehr der Realität entspricht.
Die Hitze ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, daß es auf der einen Seite der Realität völlig egal ist, ob sie sie wahrnimmt oder nicht. Die Hitze ist einfach da. Auf der anderen Seite sollte es ihr aber nicht egal sein, die Realität wahrzunehmen. Verweigert, verhindert oder vertuscht sie die Realität, führt das zu Konsequenzen, die ihr Leben ins Chaos stürzen können.
Ihr wird dabei deutlich, daß es eine gängige Praxis ist, die Realität nicht sehen zu wollen. Wie lange brauchen wir, um zu erkennen, daß ein Freund vielleicht gar kein Freund ist? Wie lange brauchen wir, um zu erkennen, daß der Job, den wir machen, nichts für uns ist? Wie häufig wünschen wir uns, anders zu sein, als wir sind. Schlanker, hübscher, größer, kleiner, reicher oder gesünder. Jedesmal wenn wir etwas anders haben wollen, als es ist, verweigern wir die Realität. Jedes Mal, wenn wir denken „Wenn erst einmal... dann...“, verweigern wir die Realität.
Diese Verweigerung der Realität hat den Nachteil, daß wir in unserem Leben bei Dingen und Aspekten verharren, die real nicht existieren! Unsere Verweigerung führt dazu, daß wir unsere Energie auf etwas richten, das gar nicht da ist! Das hat den weiteren Nachteil, daß wir auch nicht gut wahrnehmen können, was gerade in unserem Leben wirklich geschieht. Das heißt, wir schenken den realen Aspekten unseres Lebens, die tatsächlich vorhanden sind, nicht genügend Aufmerksamkeit. Dabei scheint es unerheblich zu sein, ob es sich dabei um unsere Partnerin oder unseren Partner, um unseren Beruf oder um sonst etwas handelt. Die Verweigerung der Realität hindert uns daran, in der Gegenwart zu leben und unser Leben, so wie es ist, zu sehen und zu genießen.
Grund genug für Samantha, ab sofort verstärkt darauf zu achten, ob ihre Wahrnehmung mit der Realität übereinstimmt, und das ist sehr leicht am Ausmaß des vorhandenen Konfliktpotenzials in ihrem Leben zu erkennen. Sobald ein Konflikt auftritt — egal, ob innerlicher oder äußerlicher Natur — möchte sie von nun an immer noch einmal einen Abgleich starten: Stimmt ihre Wahrnehmung mit der Realität überein?
Und falls sie selbst es nicht zu erkennen in der Lage ist — was leicht Vorkommen kann, zumal sie in ihren eigenen Strukturen „feststeckt“ — dann können die Aussagen ihrer Umwelt sehr hilfreich sein. Dabei geht es Samantha nicht darum, anderen mehr zu vertrauen als sich selbst. Aber die Welt hin und wieder mal mit den Augen anderer zu sehen, kann helfen, die „ganze Wahrheit“ ein Stückchen mehr zu erkennen.
Während all dieser Gedanken kann Samantha die Realität spüren: Die Sonne über ihr brennt gnadenlos auf diesen Planeten herab. Es dauert heute lange, bis sie ihr Etappenziel erreicht. Völlig verschwitzt und in ihren eigenen Säften garend, findet sie ein Hostal mit einem Pool! Manchmal werden Träume zur Realität.
Sucht
Das Verhalten, das wir „Sucht“ nennen,
ist die Abgabe von Verantwortung
und die Übergabe von Macht an ein Etwas,
dem wir dann die Schuld für den Zustand
unseres Lebens zuweisen können.
Was für eine Nacht.
Plötzlich geht die Alarmanlage im Flur des Hotels. Die Notbeleuchtung über ihrer Zimmertür, die stets ein dämmriges Licht abgibt, knallt jetzt mit grellem Licht in das kleine Zimmer, ihr direkt ins Gesicht. Sie schreckt aus dem Schlaf und lauscht, was passiert.
Schreit da jemand „Feuer“ oder „fuego“ oder irgend etwas anderes? Nein, alles ist totenstill. Nicht einmal ein besorgter Nachtportier oder ähnliches ist zu vernehmen. Nach einigen Minuten ist die Alarmanlage wieder still — das Licht brennt weiter.
Samantha liegt in ihrem Bett und überlegt, ob sie aufstehen und sich anziehen soll, man kann ja nie wissen. Aber es regt sich in keinem der
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