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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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Hostals. Mehr kann sie leider nicht für sie tun.
    Anna dreht sich zu ihr um und sagt: „Entschuldige bitte, daß ich eben nichts gesagt habe, aber ich hatte Angst, du würdest über mich lachen oder mich für blöd halten.“ — „Alles okay“, erwidert Samantha und denkt sich, warum wir Menschen es uns immer so schwermachen. Ewig haben wir Angst davor, nicht mehr geliebt, mißverstanden oder ausgegrenzt zu werden oder sonst irgendwas.

    Vielleicht ist das ja genau das passende Thema für heute: Ängste. Wo liegen ihre Ängste?
    Offensichtlich muß sie sich das Thema erst einmal von der globalgalaktischen Seite anschauen. Konkrete Ängste kann sie im Augenblick nicht feststellen. Sie hatte eine am Anfang dieses Weges, nämlich daß sie es nicht durchhalten würde. Diese Angst ist seit einiger Zeit nicht mehr da... na ja, den größten Teil hat sie ja auch schon gemeistert.
    Aber ist sie deshalb ganz ohne Ängste? Sie verschiebt den Gedanken bis nach ihrem Aufbruch. Jetzt ist erst einmal Zeit für ein leckeres Frühstück.

    Auf dem Weg nach Portomarin gibt es kaum Einkehrmöglichkeiten. Die wenigen Höfe in den kleinen Dörfern liegen abgesondert, und hier in Galicien scheint es nicht einmal die sonst überall üblichen Bars zu geben. Das gibt ihr Zeit, sich wieder auf ihr Thema zu konzentrieren.

    Ist sie ohne Angst? — Nein, bestimmt nicht. — Aber welche plagt sie? — Im gegenwärtigen Augenblick kann sie keine spüren, im Moment zeigt sich keine, und in alten Geschichten möchte sie nicht graben, die sind Schnee von gestern. Am besten sie macht es so, wie sie es sich noch vor dem Frühstück vorgenommen hat: Sie geht das Thema erst einmal von der allgemeinen Seite an.

    Was ist denn eigentlich Angst, wenn sie einmal vom stammesgeschichtlichen Aspekt des Fluchtreflexes absieht? Ist Angst eine Vorsichtsmaßnahme, damit wir nicht zu Schaden kommen?

    Meistens geht es darum, daß wir etwas verlieren könnten oder gar nicht erst bekommen. Daß wir nicht genügend Liebe bekommen, daß wir nicht genug versorgt sind oder daß wir unsere Geliebte oder unseren Geliebten verlieren könnten oder daß uns Freunde nicht mehr mögen. Es geht um einen Mangel, der entweder bereits besteht und sich zu vergrößern droht oder der erst durch die Aktion, vor der wir Angst haben, entstehen könnte.
    Da fällt ihr wieder der Verstand ein. Der Verstand ist doch der Experte per se, wenn es um Mangel geht. Und sie hat ihn im Verdacht, daß er die Angst in uns produziert, um Schaden und größeren Mangel zu verhindern, auch wenn die Realität ganz anders aussieht.

    Apropos Realität. Kann der Verstand diese denn überhaupt erkennen? Ist er in der Lage, aus seinem Mangelerleben heraus etwas anderes zu sehen, als er sich zurechtgelegt hat?
    Sie denkt da gerade an das Beispiel mit der Angst vor dem Verlust von Freunden. Worum dreht sich da die Angst wirklich? Geht es da wirklich nur um den Verlust? Man könnte sich doch neue Freunde suchen — Menschen gibt es schließlich genug auf der Erde, auch in unserem direkten Umfeld. Oder ist es vielmehr so, daß da noch andere Aspekte auftauchen könnten, die man nicht sehen mag? Vielleicht ist Mann oder Frau ja kontaktscheu und nicht in der Lage, neue Freunde zu finden. Dreht sich die Angst dann um den Verlust der Freunde oder um die eigene Kontakthemmung?

    Kann es denn vielleicht auch sein, daß der Verstand es nicht erträgt, wenn sein Gedankengespinst nicht mit der Realität übereinstimmt, und er deshalb Angst vor Situationen aufbaut, damit sein Irrtum nicht aufgedeckt wird?
    Würde durch den Abgleich unseres Denkens mit der Realität nicht unser ganzes kleines Weltbild durcheinandergebracht werden, und müßten wir dann nicht eine neue Bewertung der Gegenwart vornehmen?

    Wenn wir unser Leben lang mit dem Bewußtsein durch die Welt laufen, daß uns niemand mag, dann haben wir uns und unser Umfeld ganz und gar darauf eingerichtet. Wenn die Realität dann plötzlich etwas anderes zeigt, müssen wir unsere eigene Rolle im Leben und die der anderen überprüfen. Und wir müssen unsere gesamte Bewertung der Welt überdenken. Das kann so manchem den Boden unter den Füßen wegziehen. — Mein lieber Verstand, ich bin dir mitsamt deinem Werkzeug „Angst“ auf die Schliche gekommen.

    Samantha erkennt, Ängste sind die Manifestation des Mangels durch den Verstand. Nicht mehr — aber leider auch nicht weniger. Dabei bemerkt sie, daß sich vielleicht genau aus diesem Grund im Augenblick

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