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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inaqiawa
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leider nicht sehen, ob es seine Kindheit ist oder ob es seine Kinder sind.

    Samantha zögert immer noch. Sie traut sich irgendwie nicht so richtig... was befürchtet sie?
    Vor ihr befindet sich eine Tür mit einem großen Spielplatz darauf. Sie geht darauf zu, und dann wagt sie hindurchzugehen. Leise schließt sich die Tür hinter ihr.

    Der Raum ist leer. Sie schaut sich um und spürt Enttäuschung in ihr aufkeimen. Einen leeren Raum hatte sie nicht erwartet. Eine Stimme dringt durch einen unsichtbaren Lautsprecher und fragt sie: „Was hast du erwartet?“ — „Keinen leeren Raum und kein Frage-und-Antwort-Spiel. Eher eine konkrete Antwort auf meine Frage, ob das Leben ein Spiel ist.“ — „Schau dich um, was siehst du?“

    Etwas in ihr hält sie davon ab, spontan „nichts“ zu sagen. Sie blickt sich noch einmal ganz in Ruhe um, und in dem leeren Raum werden langsam Konturen sichtbar. Erst nur ganz schwach, was sie sehr neugierig macht, und je neugieriger sie wird, desto deutlicher wird alles, als ob ihre Neugier diese Dinge ins Leben ruft. Dann kommt in ihr der Wille auf, daß sie alles genauer sehen möchte, und mit einem Mal ist alles ganz deutlich zu sehen. Es erscheint ihr wie ein deutlicher Wirrwarr von Möglichkeiten. Sie kann nichts wirklich konkret erkennen, und doch weiß sie, daß irgendwie alles da ist. Jetzt hat sie nicht nur einen Wirrwarr im Raum, sondern auch noch in ihrem Kopf.

    „Was ist das?“, fragt sie verstört in Richtung Lautsprecher. „Das sind die Möglichkeiten deines Lebens. Es sind die verteilten Karten deines Lebensspiels.“ — „Aber das ist ja so viel, daß sich alles übereinanderschichtet. Wie soll ich mich da zurechtfinden? Und was soll ich davon aussuchen?“ — „Es ist dein Spiel. Mach daraus, was dir Spaß macht!“

    Dann hört sie ein Klicken — so als würde der Lautsprecher ausgeschaltet — es war aber etwas ganz anderes. Ein Pilger ist durch das Unterholz auf das Viadukt zugekommen und hat dabei einen Ast zertreten. Das hat sie geweckt und aus ihrem Traum geholt. Samantha holt sofort ihren kleinen Schreibblock heraus und notiert, was ihr im Gedächtnis geblieben ist.

    Sie begrüßen sich mit dem üblichen „Buen camino“, und dann macht sie sich auf die letzten Meter nach Barbadelos.
    Alles ist anders, als sie dachte. Eine Herberge und drei private Häuschen — sonst nichts. Also überlegt sie sich, noch weitere drei Kilometer zu gehen. Dort soll es ein neues Hostal geben. Es trägt den wohlklingenden Namen „Casa Nova“. Mit einem äußeren Blick auf die Uhr und einem inneren auf ihre Füße steht die Entscheidung fest: Sie kann es wagen. Und so schultert sie wieder ihren Rucksack und macht sich auf den Weg.
    „Casa Nova“ macht keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Ein altes Herrenhaus auf einem Hofgelände. Die Wirtin scheint ebenfalls aus dem Film von heute mittag zu stammen — jedenfalls sieht sie sehr nach Mittelalter aus. Das Zimmer hat kein eigenes Bad, ist dafür aber teurer als gewohnt. Das Bad auf dem Flur hat kein Licht. „Oh“, sagt die Wirtin, als wisse sie nichts davon und probiert zum sechsten Mal den Schalter.
    Das Zimmer ist groß, hat dafür aber nur ein Fenster von ungefähr dreißig mal dreißig Zentimeter. „Nein, öffnen kann man es nicht, ja, und leider hat sie vergessen, die Gardinen zuzuziehen. Jetzt steht die Sonne genau darauf.“ Im Zimmer sind ungefähr fünfzig Grad Celsius, die Wirtin zuckt mit den Schultern.

    Samantha hat in diesen vier Wochen schon in so mancher Unterkunft geschlafen, aber diese schlägt alles um Längen, und so lehnt sie zum erstenmal auf diesem Weg eine Unterkunft ab und geht wieder. In diesem Zimmer möchte sie so einen schönen Tag nicht beenden. Da läuft sie lieber noch ein Stückchen und läßt die Karten neu mischen.

    Samantha rechnet die Kilometer des heutigen Tages zusammen und kommt bis jetzt auf sechsundzwanzig. Das ist viel, viel mehr, als sie vorhatte. Bei diesem Gedanken spürt sie auch wieder ihre Füße. Sie bittet sie um Verzeihung und erklärt ihnen, daß sie hier nun wirklich nicht bleiben können, und vertröstet sie noch weitere Kilometer, bis sie endlich in Ferreiros die für alle Pilger gewichtige Hundert-Kilometer-Marke erläuft. Hier trifft sie in dem winzigen Dorf auf ein Hostal mit einem Restaurant, das ganz augenscheinlich ein Geheimtipp für Einheimische ist.

    Alles ist wieder gut, und sie ist sehr froh, daß sie aus dem neugemischten Stapel Karten eine gute

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