So nicht, Europa!
selbst in Ministerien kommen mit den Vornamen der Beamten aus. Das nationale Lebensgefühl zeichnet sich neben Erdverbundenheit
und Naturromantik durch ein ungetrübtes Geschichtsbild und einen ausgeprägten Selbstbehauptungswillen aus. Island ist sehr
europäisch. Doch sein politisches System ist weit entfernt von dem der EU.
Auf unangemessene Einmischung reagiert das Inselvolk deshalb hoch sensibel. Kein Wunder: Die Fischerei steht in Island stellvertretend
für Souveränität und damit für die Grenzen akzeptabler Freiheitsbegrenzung durch fremde Mächte. Um seine Küstengewässer vor
Überfischung zu schützen, weitete Island sein Hoheitsgebiet bis 1976 auf 200 Meilen aus. Dabei kam es im wörtlichen Sinne zu Zusammenstößen zwischen isländischen Trawlern und britischen Kriegsschiffen.
Bis Westminsters Flotte schließlich beidrehte. »Wir sind wahrscheinlich das einzige Land, das das britische Empire jemals
auf See besiegt hat«, witzelt der Reykjaviker Politikprofessor Ólafur Hardarsson und stößt seine Gabel in ein Stück Hummerschwanz.
»Ich will damit sagen, dass unsere Fischgründe uns als vitale Ressource gelten. Sollte ein E U-Beitritt bedeuten, dass spanische oder schottische Trawler hier herumkurven dürfen, dann«, er reißt die Augen auf, »vergiss’ es! Ganz
einfach.«
Dass dies unter dem Einfluss des europäischen Empires passieren könnte, ist zwar unwahrscheinlich. Dennoch, die Brüsseler
Grundregel lautet: Wer in europäischen Gewässern wie viel Fisch fangen darf, legen die Nationen nicht für sich allein fest,
sondern per Mehrheitsbeschluss im europäischen Ministerrat. So soll vermieden werden, dass einzelne Länder sich maßlos an
den über Grenzen wandernden Fischschwärmen bereichern und damit auch die Bestände für andere schädigen. Auf diese Weise freilich
werden die Fangquoten, die eigentlich je nach Küstenbeständen biologisch bestimmt werden sollten, in der Tat zu politischer
Verhandlungsmasse.
Der Gedanke, in einer Gemeinschaft von Staaten friedliche Lösungen zu finden, sei ja grundsätzlich gut, sagt der Chef der
isländischen Fischerboot-Vereinigung, Fridrik Arngrímsson. Aber warum müssten italienische oder polnische Politiker darüber
mitentscheiden, wer welche Menge Fisch aus dem Nordmeer ziehen dürfe? »Wir regeln per Abkommen mit Großbritannien, Norwegen
und Russland schon selbst, wer welchen Anteil an den Heringsschwärmen bekommt«, sagt er. Das funktioniere gut. Zudem sei der
E U-Wahnsinn , zu kleine Fische zurück ins Meer zu kippen, in Island schlicht verboten.
Tatsächlich hält selbst die Brüsseler Kommission die E U-Fi schereipolitik für missraten. »Die meisten europäischen Bestände sind überfischt«, heißt es in einem Arbeitspapier. Niedrige wirtschaftliche
Effizienz stehe hohen Umweltschäden gegenüber. »Un ser Rezept dagegen lautet, dass kein einziger Fischer Subventionen bekommt«, sagt Arngrímsson mit erhobenem Zeigefinger. Stattdessen
garantiere die teure isländische Staatsquote, dass sie ihre Lebensgrundlage sorgfältig schützten. Anders vielleicht, will
er damit andeuten, als manch zuwendungsgewohnter Berufskollege in Spanien oder Frankreich.
Össur Skarphédinsson bleibt bei allen Bedenken der Traditionalisten gut gelaunt. Er vertraut darauf, dass die Kraft des besseren
Arguments auch in der EU zählen wird. Welche wunderbaren Segnungen, erinnert er, habe Europa nicht schon in der Vergangenheit
aus Reykjavik bezogen: die Sagas, die Abrüstungsverhandlungen während des Kalten Krieges … – Warum nicht als Nächstes ein klügeres Fischereimanagement? Er habe als junger Mann selbst das Fischerhandwerk gelernt.
Direkt vor seinem Bürofenster liegt der Hafen von Reykjavik. Schwere Trawler dümpeln an der Mole. Skarphédinsson weist mit
dem Daumen hinaus. »Wir können das besser«, sagt er. Und verrät dann die Bedingung, die er nicht ins offizielle Aufnahmegesuch
an die EU geschrieben hat. »Natürlich möchten wir in Brüssel den Fischereikommissar stellen.« Aber so natürlich wie Island,
das wird auch seine Regierung noch merken, funktioniert Brüssel nicht.
Das verpennte Peaceful Rising: Europa und China
Wir werden zusammen aufsteigen oder untergehen.
Hillary Clinton, amerikanische Außenministerin, über das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und China
Die Frage für jeden Europäer lautet, ob wir Mitwirkende oder Zuschauer der neuen Weltordnung sein
Weitere Kostenlose Bücher