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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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die Einstellung einer künftigen Erweiterung umso negativer
     ausfalle, je höher der Anteil von Ausländern an der jeweiligen Bevölkerung sei. 12
    Die EU ist eine konservative Beschützerin ihres Hausstandes. Sie will ihr Familienbild auch im 21.   Jahrhundert nicht erneuern, sondern abrunden. Sie weiß um ihre Anziehungskraft. Aber sie misstraut dem Anpassungswillen ihrer
     Verehrer. Die EU darf, das ist schon richtig, keine Erziehungsanstalt sein. Aber sie kann auch kein Eliteinternat sein, wenn
     sie ihren Anspruch als zivilisatorische Kraft verwirklichen möchte. So groß ihre Attraktivität von außen erscheint, so kleinmütig
     tickt Madame Europa. Es spricht für ihre Furchtsamkeit, dass die EU Brückenländer eben nicht als Chance für den Ausbau
ihres
Einfluss begreift, sondern als Gefahr vor neuen, ungewohnten Einflüssen von außen.

To be EU or not to be: Islands Notruf an Brüssel
    Halb zog sie ihn, halb sank er hin
    Johann Wolfgang von Goethe, Der Fischer
     
    Wärme wünscht, der vom Wege kommt
    Mit erkaltetem Knie;
    Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,
    Der über Felsen fuhr.
    Aus der Edda
     
    Ein Land, das dereinst selbst als europäische Kolonie begann und sich von Westen her um Zugang zum Club bemüht, hat derweil
     kein Problem mit freundlicher Aufnahme – nicht aus Sicht der EU jedenfalls. Islands Außenminister wirkt siegesgewiss. Er legt
     die Füße auf den Couchtisch und macht als erstes ein paar Vorschläge zur Umgestaltung der Europäischen Union. Erdwärme, sagt
     Össur Skarphédinsson. Warum nutzen die E U-Staaten nicht viel mehr Erdwärme? In Ungarn zum Beispiel, schwört er, habe die Geothermie eine echte Zukunft, in Slowenien, auch
     in Deutschland. »Amsterdam und Paris«, schwärmt er weiter, »liegen auf Wärmepools, sagen unsere Wissenschaftler.« Die Isländer,
     das sei doch bekannt, seien unschlagbar auf diesem Gebiet. »Unser Knowhow könnte der EU helfen, ihre Klimaschutz-Ziele zu
     erreichen.« Skarphédinsson nimmt die Füße vom Tisch und schüttet sich ein Häuflein Schnupftabak auf den Daumenballen. Er meint
     das alles ernst. Island will einen Neuanfang wagen. Auf der Insel bricht, wenn man so möchte, eine dritte geschichtliche Epoche
     an. Diesmal, notgedrungen, eine mit der EU.
    Wer auf Island landet, kann keinen Zweifel haben, dass das Eiland im Nordatlantik der vorgeschobene Außenposten Europas ist.
     Durch Mondlandschaften aus Vulkangestein geht es in modernen Bussen über eine makellose Schnellstraße in die Hauptstadt Reykjavik.
     Am Horizont erheben sich gletscherbedeckte Berge zu atemberaubenden Panoramen. Die Wikinger, die vor 1100 auf die Insel kamen,
     benannten ihren Siedlungsplatz nach dem Wasserdampf der heißen Quellen,
Rauchbucht
. Die Isländer sind stolz auf ihre Geschichte. Überall in Kunst, Architektur, Musik und Literatur nehmen sie Bezug auf ihre
     Ahnherren. Die Sprache des skandinavischen Seefahrervolks, das Altnordische mit seinen besonderenSchriftzeichen, hat sich bis heute wenig verändert erhalten.
    Ebenso selbstbewusst verweisen die Isländer auf die Tradition des Althing, der, wie sie gern behaupten, ältesten Demokratie
     außerhalb von Griechenland (die politische Teilhabe in beiden historischen Fällen war indes der dünnen Schicht freier Männer
     vorbehalten). Ab dem Mittelalter wurde Island als Verwaltungseinheit mit Norwegen vom dänischen Königshaus regiert. Seit 1944
     ist die Republik Island unabhängig, aber die über Jahrhunderte gewachsenen Handelsbande mit Norwegen sind noch immer stark.
    Das Zeitalter der Industrialisierung, wie es sich in Kontinentaleuropa vollzog, hat die Insel gleichsam übersprungen. Die
     Gewässer um ihre Küsten, in denen der warme Golfstrom mit dem kalten Polarwasser zusammenstößt, sorgten seit jeher für ungewöhnlich
     ertragreiche Fischschwärme. Viele Isländer leben noch heute von der Hochseefischerei. Hering und Kabeljau sind die wichtigsten
     Exportprodukte des Landes. Es war vor allem der Respekt vor diesen natürlichen Ressourcen, sagen die Inselbewohner, der ihnen
     über die Jahrhunderte das Auskommen sicherte.
    Im 20.   Jahrhundert allerdings fingen die Isländer auch an, nach Geld zu fischen. Die Banken der Insel zogen mit zweistelligen Zinssätzen
     Kapital an, um es für Investitionen in aller Welt weiterzuleiten. Mithilfe von ausgeklügelten Investmentprodukten mauserte
     sich Island zum Boom-Eiland, zu einer Schweiz im Atlantik. Bruttosozialprodukt und Wohlstand

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