So nicht, Europa!
wollen. Wenn wir eine so
genannte G 2-Welt , geformt von den Beziehungen zwischen den USA und China, vermeiden wollen, müssen wir daran arbeiten, dass eine G 3-Kooperation – USA, China und Europa – entsteht.
David Miliband, ehemaliger britischer Außenminister
Song Zhe residiert ein Stück außerhalb des europäischen Institutionenviertels in Brüssel. Bis vor kurzem gehörte das mächtige
weiße Gebäude, in dem er empfängt, der Computerfirma Hewlett-Packard. Der Taxifahrer, der den Besucher hinausgefahren hat
in das Gewerbegebiet, macht große Augen, als er beim Anhalten das auffällige rot-goldene Staatswappen erblickt, das von der
Dachkante strahlt. Der weiße Klotz sieht abweisend aus. Abgeschottetheit statt Offenheit signalisiert die Architektur. Dort,
wo Song Zhe herkommt, gibt es weder Presse- noch Meinungsfreiheit.
Ein lächelnder Mann mit aufgeklapptem Schirm läuft auf das Taxi zu. Fließendes Englisch sprechend führt er durch den strömenden
Regen. Song Zhe, der Botschafter, sagt er, warte im Konferenzzimmer.
Ihr neues Brüsseler Quartier haben die Chinesen mit ein paar geschickten Kniffen in einen anmutigen Diplomatentempel umdekoriert.
Zwei steinerne Drachen bewachen die Freitreppe, die hinauf zum Eingangsportal führt. Rote Lampions hängen von den Decken,
gitterförmige Holzpaneele und chinesische Kalligrafie schmücken die Wände. »Peaceful Rising« scheint das Thema des Innenarchitekten
gewesen zu sein, friedlicher Aufstieg. Etwa 90 Diplomaten arbeiten in der Vertretung. In der Pförtnerloge schlürft ein Wärter im Arbeitsanzug Suppe aus einem Blechtopf,
während er die Überwachungsmonitore beobachtet. 2009 haben sich alle Mitarbeiter in der großen Empfangshalle zu einer Feierstunde
versammelt. Ein riesiges Poster mit einer rötlich-gelben chinesischen Fantasielandschaft verkündet noch den Grund:»Zur Feier des 60. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China«.
Seit 1975 pflegen China und die EU diplomatische Beziehungen. Seit damals ist das bilaterale Handelsaufkommen von 2,4 auf
425,6 Milliarden Dollar gestiegen, ein Zuwachs um das 17 6-Fache . Immer mehr chinesische Firmen fassen Fuß in Europa, aber auch umgekehrt. Bis zum Sommer 2009 haben nach chinesischer Zählung
30.000 Firmen aus der EU in China Dependancen oder Auslagerungen eröffnet, mit einem Investmentvolumen von über 66 Milliarden Dollar. Das macht Europa zum drittgrößten Investor in China. Durchschnittlich zehn Prozent beträgt das jährliche
Wirtschaftswachstum seit 1979. Unter der Wirtschaftskrise leidet China wegen seiner niedrigen Lohnkosten und seines unterentwickelten Arbeitsrechts weniger
als europäische Nationen. Während deutsche Auslandsexporte im ersten Halbjahr 2008 um 34 Prozent eingebrochen sind, ging Chinas Exportrate im selben Zeitraum nur um 22 Prozent zurück.
»China bekommt ein größeres Stück vom schrumpfenden Kuchen«, beschrieb die ›Herald Tribune‹ Ende 2009 die Umverteilung des
Wohlstands auf der Welt. Anfang 2010 gab das Statistische Bundesamt bekannt, die Volksrepublik habe den Exportweltmeister
Deutschland vom Sockel gestoßen. Peking hatte im Jahr zuvor Waren im Wert von 1,07 Billionen Dollar ausgeführt, Deutschland hingegen im Wert von 1,05 Billionen Dollar. Doppelt so viel Geld, zwei Billionen Dollar, hat das Riesenreich an ausländischer Währung angesammelt. China
hat sich zur Bank der Welt aufgeschwungen. Ohne den massiven Ankauf von U S-Schatzbriefen durch die Volksrepublik könnte der Hauptschuldner Amerika weder die Kriege in Afghanistan und Irak noch sein Bankenrettungsprogramm
finanzieren.
Das Konferenzzimmer, in dem der Botschafter empfängt, entpuppt sich als Audienzhalle, ausgelegt mit einem dicken Teppich mit
Drachenmuster. Song Zhe ist ein jugendlich wirkender Endvierziger mit blauer Krawatte und konzentriertem Blick. Im Frühjahr
2008 nahm der studierte Ökonom seinen Posten bei der Europäischen Union ein. Er war schon einmal in Europa stationiert, als
Botschaftsrat in London. »Aber das war im letzten Jahrtausend!«, sagt Song lachend. Seit damals, seit den 90er-Jahren, sei
die Weltgemeinschaft doch so viel enger zusammengerückt. »Einige Leute glauben, die EU sei im Abstieg begriffen. Wir glauben
das nicht«,sagt er. Hier, von Brüssel aus, falle ihm besonders auf, wie sehr die globalen Herausforderungen nach einer Zusammenarbeit
der Big Player riefen. Auch wenn es
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