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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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nicht immer einfach sei, in der E U-Zentrale die richtigen Ansprechpartner zu finden – Song schätzt die »vielen Kanäle«, die die Stadt biete. »Ich habe«, sagt er in Anspielung
     auf Henry Kissingers berühmte Frage, »kein Problem damit, mir viele Telefonnummern zu merken.«
    Sein Job, berichtet Song, sei es einerseits, Chancen für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und
     China zu finden – insbesondere zu beobachten, auf welche Normierungen sich chinesische Hersteller einstellen müssen, wenn
     sie auf den europäischen Markt drängen. Andererseits, beteuert der Botschafter, sei er natürlich auch in Brüssel, um zu lernen.
     Die Integrationsgeschichte der EU hält er für den kreativsten und innovativsten regionalen Vernetzungsprozess der modernen
     Menschheitsgeschichte. Seit langem arbeiten die Staaten Asiens daran, diese Erfolge nachzuahmen. Zum Jahreswechsel 2009   /   10 schloss sich China mit sechs Staaten der Asean-Gemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations) Brunei, Indonesien,
     Malaysia, den Philippinen, Singapur und Thailand zur bevölkerungsmäßig größten Freihandelszone der Welt zusammen. Sie umfasst
     1,75   Milliarden Menschen, also mehr als drei Mal so viel wie die EU.   Ihr Handelsvolumen entspricht allerdings nur etwa einem Drittel des europäischen. Doch Song interessiert nicht nur, wie sich
     Nationen wirtschaftlich zusammenschweißen lassen. »Die EU will eine pluralistische Kultur der Einheit und des Wohlstandes
     schaffen. Wir verfolgen ganz genau dasselbe Konzept, um eine harmonische Gesellschaft in China aufzubauen.«
    Ganz genau dasselbe Konzept? Dass beide, Europa und China, Wohlstand anstreben, darf man noch glauben. Doch die Menschenbilder
     und Staatsphilosophien hinter den Bilanzen scheinen noch immer auf sehr gegensätzlichen Motivlagen zu gründen. Europa empfindet
     Pluralismus und Demokratie als Basis seines wirtschaftlichen Erfolges. China hingegen scheint sie als notwendiges Begleitübel
     seines Aufschwungs zur Exportnation zu begreifen. Seine Gerichte verurteilen einen Universitätsprofessor zu zehn Jahren Gefängnis,
     weil er ein Mehrparteiensystem fordert. Sie verhängen reihenweise Todesurteile gegen Uiguren, die Selbstbestimmung für ihre
     Provinz fordern. Sie verurteilen Abweichler zu Haft in Arbeitslagern, die allen Menschenrechtsstandardswidersprechen. Wie passt das ins Bild von einem China, das von Europa lernen möchte?
    Botschafter Song wird ein wenig emotional, wenn man ihn auf die zweifelhafte Menschenrechtsbilanz der Kommunistischen Partei
     Chinas (KPCh) anspricht. »Die Wahrnehmung vieler Europäer über uns ist in der Vergangenheit verhaftet«, sagt er. »Wir waren
     nie eine Sowjetunion. Und gerade jetzt bewegen wir uns sehr schnell! Aber muss es denn eine Demokratie nach westlichem Vorbild
     sein?« Deutschland, findet manch einer in China, steche unter den europäischen Nation besonders heraus durch unkundige Kritik
     der Lage. Die aus chinesischer Regierungssicht beleidigenden Auftritte von Dissidenten während der Frankfurter Buchmesse 2009,
     bei der China als Ehrengast geladen war, haben ebenso für Verstimmung gesorgt wie angeblich besonders angriffslustige deutsche
     Journalisten.
    »Im Vergleich zu den Medien in anderen europäischen Ländern tun sich die deutschen Medien mit antichinesischen Äußerungen
     besonders hervor«, klagt der ehemalige chinesische Botschafter in Berlin, Mei Zhaorong. Wenn es in Menschenrechtsfragen immer
     wieder zu »Irritationen« zwischen Europäern und Chinesen komme, dann, glaubt auch sein Brüsseler Kollege Song, liege das daran,
     dass »die Kenntnisse unserer Geschichte, unserer Entwicklung und unseres Status quo in Europa nicht ausreichend« seien. In
     China gehe es zunächst einmal darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Die KPCh stehe unter gewaltigem Druck, das Land zu modernisieren.
     Schließlich stehe China noch mit einem Bein im Mittelalter. Zwei Drittel aller Chinesen leben unterhalb der Armutsgrenze,
     viele von ihnen leiden Hunger. Ein Drittel hat kein sauberes Trinkwasser, und schätzungsweise 200   Millionen Menschen ziehen als Wanderarbeiter durchs Land. Zehn Millionen Jobs, rechnet Song vor, müssten jedes Jahr entstehen,
     wenn der soziale Frieden im 1, 3-Milliarden -Reich gewahrt bleiben solle. »Dieses Ziel«, sagt der Botschafter und wehrt Kritik am Umgang mit Tibet und der Uiguren-Provinz
     Xinjiang ab, »ist in jedermanns Interesse. Ein China

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