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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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möglichst vielen Menschen eine möglichst große Selbstbestimmtheit
     zu garantieren. Als wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg wird die EU immer wieder etikettiert. In Bezug auf manche
     außenpolitische Nachlässigkeit mag das stimmen, da erscheint sie manchmal sogar als Wurm. Falsch ist nur der kategorische
     Gegensatz zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht, der mit diesem Vergleich insinuiert wird. Einen Raum freier Marktwirtschaft
     zu schaffen und zu erhalten, ist eine sehr bedeutende politische Leistung.
     
    Aber kennt der Glaube an die normative Kraft des Marktes nicht auch Enttäuschungen? Was, um im Bild von der Leimrute zu bleiben,
     wenn die Wirtschaftsmacht EU ihrerseits trickreichen Anwärterstaaten auf den Leim geht? Griechenland, Bulgarien und Rumänien
     haben, wie bereits beschrieben, dankbar die Subventionen der EU abgegriffen, das Versprechen auf bessere Regierungsführung
     haben sie nicht eingelöst. Auch in den östlichenE U-Staaten , die bereits seit 2004 zum Club gehören, hat sich keineswegs alles zum Besseren gewendet. »In Sachen Korruption sind fast
     in allen 10   E U-Ländern , die 2004 der EU beigetreten sind, massive Rückschritte zu verzeichnen«, fasst die Leiterin des Brüsseler Büros von Transparency
     International, Jana Mittermaier, entsprechende Umfrageergebnisse ihrer Organisation zusammen. »Das liegt daran, dass nach
     den Beitritten einfach niemand mehr genau hingeschaut hat, was dort bei der Korruptionsbekämpfung passiert und ob die während
     den Beitrittsverhandlungen initiierten Antikorruptionsreformen weitergeführt werden.« Die Macht des großen Transformators
     Brüssel hat also Grenzen.
     
    Ist die EU womöglich naiv, wenn sie glaubt, sie könnte Kandidatenländer wie Kroatien oder später einmal Serbien und das Kosovo
     in hehre Marktwirtschaften nach nordeuropäischem Modell verwandeln? Die Hartnäckigkeit, mit der sich auf dem Balkan Gefälligkeitsgesellschaften
     und an Rassismus grenzender Nationalismus halten, scheint sich der merkantilistischen Zivilisationslogik zu entziehen, von
     der die EU glaubte, sie würde sich quasi automatisch in ihre Peripherie ausbreiten.
    Nach acht Jahren als U N-Protektorat übernahm 2008 die EU die Aufsicht über das Kosovo. »Rechtsstaatlichkeitsmission« (EU- LEX ) heißt das Unternehmen Balkan seither bürokratisch trocken. Tatsächlich handelt es sich um die bislang größte Auslandsmission
     der EU. 1800 zivile Beamte, zum großen Teil Polizisten, aber auch Richter, Staatsanwälte und Zöllner sollen das Land von der
     U N-Übergangsverwaltung hin zu einem eigenständig funktionierenden Staat begleiten. Doch mit welchem Aussicht auf Erfolg? 22   Milliarden Dollar haben die Vereinten Nationen schon in die kriegsgebeutelte Provinz gepumpt, um die Wirtschaft anzuwerfen
     und Verwaltungsstrukuren zu schaffen. Doch statt Partnerschaft und Wirtschaft blühen weiterhin vor allem Nepotismus, Korruption
     und organisiertes Verbrechen. 40   Prozent der Kosovaren lebten noch 2008 unter der Armutsgrenze, weitere 15   Prozent galten als extrem arm. Das Bruttoinlandsprodukt des Kosovo ist so groß wie das von Ägypten, die Bevölkerung ist zur
     Hälfte jünger als 25   Jahre und zum nahezu gleichen Anteil arbeitslos. »Das letzte afrikanische Land Europas« nennt das ›Handelsblatt‹ die junge
     Republik. 25
    Welchen Beistand kann die EU realistischerweise leisten gegenüber willigen, aber offenkundig unreifen Aspiranten? Fragtman dortige Politiker, ist die Antwort klar: Wir brauchen die EU, um uns zu reformieren. Wer aber hindert die Regierungen
     daran, ihre Gesetze aus eigener Kraft dem
acquis communautaire
, dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, anzupassen? Genauso tun es schließlich, wenngleich in bescheidenem Maße, Amerikaner,
     Chinesen und Inder. E U-Nachbarstaaten könnten viel tun, um sich zu europäisieren, sich per Osmose zu verwestlichen.
    Umgekehrt würde Europas Selbstbewusstsein steigen, wenn es die Erwartungen an seine Wirkungen senkte. Die EU sollte sich weniger
     ein Zivilisierungsverein verstehen denn als eine, wenn die Paradoxie erlaubt ist, regionale Welthandelsorganisation. An dem
     höheren Anspruch, ihren Bewohnern das weltwunderbarste Wohlfühlgehege zu schaffen, droht sie zu scheitern. Denn sie funktioniert
     nach dem Prinzip des Völkerrechts. Dieses lebt davon, dass alle davon ausgehen, es sei
nützlich
, sich daran zu halten. Wenn die EU mehr will, wird sie sich bei der

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