Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
Vom Netzwerk:
könne die EU jemalszu einer Wertegemeinschaft werden, deren Verwobenheit und Gruppengefühl sich auch nur im Entferntesten mit der emotionalen
     Bindung an eine Nation vergleichen ließe. Stellen wir dazu eine, zugegeben, pathetische Testfrage. Der Gedanke »für Europa«
     zu sterben, kommt nicht nur einem postheroischen Volk wie den Deutschen absurd vor. Auch Europäer, die ein ungebrochenes Verhältnis
     zum Nationalstolz pflegen, seien es Iren, Finnen oder Ungarn, brechen in Gelächter aus, wenn man sie mit der Frage konfrontiert,
     ob sie bereit wären, für Europa ihr Leben zu riskieren. Man muss gar nicht so weit gehen. Wäre irgendwer, lebensnäher spekuliert,
     bereit, bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft ein Europateam statt der Nationalelf ins Turnier zu schicken? Nein danke!
     Die Europäer, kurzum, schätzen die Dienstleistungen der EU, sie sind dankbar für manche Verbilligung und Vereinfachung ihres
     Zusammenlebens, aber tiefere Loyalität zu empfinden für die Verwaltungsblase Brüssel? Eine groteske Vorstellung.
    Selbst die alltägliche Rhetorik Europas in Sachen Menschenrechte ist bei genauerem Hinsehen mit wenig Tatendrang unterlegt.
     In der Verurteilung des U S-Internierungslagers Guantánamo übertrafen sich die Staatschefs der EU gegenseitig. Als es aber darum ging, Entlassungskandidaten aus den Drahtkäfigen
     auf Kuba aufzunehmen, wurden dieselben Politiker entweder mucksmäuschenstill oder verhinderten gar – wie das deutsche Kanzleramt
     unter seinem damaligen Chef Frank-Walter Steinmeier – aktiv eine Freilassung. Und wo bitte ist die europäische Unterstützung
     für Dissidenten im diktatorischen Weißrussland oder für kritische Journalisten im Georgien? Wo
war
sie für die Freiheitsbewegungen im einstigen Ostblock? Die EU hat es sich über 50   Jahre unter dem weltpolitischen Schutzmantel der USA recht bequem eingerichtet. Je unabhängiger sie als Ordnungsmacht werden
     will, desto stärker muss sie in Zukunft bereit sein, sich nicht nur an Worten, sondern auch an Taten messen zu lassen.
     
    Wenn die Europäische Union auch nach über 50   Jahren ihres Bestehens nicht mehr als einen beinah antipathetischen Nexus zwischen sich und ihren Bewohnern herstellen kann
     – warum bleibt sie so versessen auf angeblich identitätsstiftende Werte? Wäre es nicht richtiger, die EU als das zu betrachten,
     was sie ist: ein Imperium des kühlen Herzens? Ihr Job ist weder idealistisch noch romantisch, sondern schlicht pragmatisch.
     Würde die EUper Stellenanzeige gesucht, ihre Arbeitgeber würden hoffentlich keine geisteswissenschaftliche Professur ausschreiben, sondern
     einen Managerposten. Die Qualitäten, welche die Bürger von der Europäischen Union erwarten dürfen, entsprechen dem Aufgabenspektrum
     eines erfolgreichen Geschäftsführers: ergebnis- und zielorientiert, teamfähig, mit hoher sozialer und interkultureller Kompetenz,
     fähig zur Motivation, verlässlich, innovativ, umsetzungsstark, mit Blick für das Wesentliche und verhandlungssicherem Englisch.
    Das gegenwärtige Problem der Europäischen Union ist nicht, dass sie zu wenig sinnstiftend wäre oder seelisch so wenig erhebend,
     sondern dass sie für die beschriebenen unternehmerischen Aufgaben unterqualifiziert erscheint. Kommission, Rat und Parlament
     richten ihre Ambitionen aufs Kleinliche statt aufs Große. Der
acquis communautaire
, der »gemeinschaftliche Besitzstand« an Gesetzen, Normen und Regeln umfasst mittlerweile sagenhafte 130.000   Seiten. Sie reichen von den Gründungsverträgen über Menschenrechtserklärungen und EuG H-Urteile bis hin zu Hygienevorschriften und Bauregeln. Auf den Toiletten des Kommissionsgebäudes hängen bebilderte Anleitungen darüber
     aus, wie man sich richtig die Hände wäscht.
    Das Römische Reich ließ seinen Provinzen und ihren Fürsten Raum, ließ in loyalen Städten und Gemeinwesen die Möglichkeit zu,
     »nach den eigenen Gesetzen zu leben«. Auf diese Weise wuchs ein »historisches Konglomerat« (Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer),
     dessen Einwohner die Vorteile des Reiches einerseits ganz selbstverständlich nutzten, andererseits aber auch regionale Politikpflege
     betreiben konnten. Die Europäische Union übersieht, dass sich Gemeinschaftlichkeit nicht mit der rechtlichen Planierraupe
     schaffen lässt. Außerdem unterschätzt sie die Ansprüche ihrer Bürger an die Nachvollziehbarkeit von hoheitlichem Handeln.
     Im Gegensatz zum Römischen Reich
spielt
in der

Weitere Kostenlose Bücher