So schoen kann die Liebe sein
Tante an diesem spontanen Zusammentreffen von Vater und Sohn nicht ganz unschuldig war.
Andrea wusste jetzt nicht, was sie tun oder was sie sagen sollte. Aber wenn sie sich nicht normal benahm, wurde Joe womöglich argwöhnisch, und sie wollte dem Kind keine Angst einjagen.
Sie streckte die Hand nach ihm aus. „Komm her, mein Schatz.” Als er bei ihr war, umfing sie schützend seine schmalen Schultern. „Liebling, das ist Mr. Yaman.”
Sam stand langsam auf, und Andrea bemerkte den Ausdruck staunender Bewunderung auf seinem Gesicht. Mit dem dichten schwarzen Haar und den braunen Augen war Joe fast das Ebenbild seines Vaters. Es machte keinen Sinn, das noch länger zu leugnen.
„Ich bin Samir”, sagte er schließlich und lächelte seinen Sohn an. „Du kannst mich aber Sam nennen.”
Joe riss überrascht den Mund auf, ehe er sagte: „Das ist ja fast so wie mein Name, das Sam jedenfalls. Ich heiße Joe Samuel Paul Hamilton.”
„Das ist ein schöner Name.” Sam sah Andrea nur flüchtig an, bevor er die Aufmerksamkeit wieder ganz auf seinen Sohn richtete, dennoch waren ihr das Bedauern und die Traurigkeit in seinem Blick nicht entgangen. Er dachte jetzt wahrscheinlich an Paul und daran, wie viel er von Joes Leben versäumt hatte. Aber sie wollte sich nicht von sentimentalen Gefühlen ablenken lassen. Sie musste stark bleiben, um ihretwillen und um ihres Sohnes willen.
Tess tauchte plötzlich wieder in der Küche auf. „Keine Angst, Joe. Geh hin und begrüß den Mann. Er ist ein alter Freund.”
Joe sah fragend zu Andrea, und als diese zustimmend nickte, trat er vor und nahm die Hand, die sein Vater ihm reichte. Sams Lächeln war voller Stolz. Andrea konnte es ihm nachempfinden, kannte sie dieses Gefühl doch allzu gut.
Nachdem sich beide die Hand geschüttelt hatten, frage Joe: „Was hast du für merkwürdige Sachen an?”
„Es ist meine offizielle Tracht. Ich komme aus einem Land sehr weit weg. Ich bin ein Scheich.”
Joe zog angestrengt die Stirn kraus. „Ein Scheich?”
„Ein Prinz”, erklärte Andrea, froh darüber, dass Sam genügend Vernunft besaß und nicht damit herausgeplatzt war, er sei sein Vater.
Joe schaute sie verunsichert an. „Wie in ,Der kleine Prinz’?”
Andrea lächelte, als er eins seiner Lieblingsbücher erwähnte. „Mehr so wie in ‚Aladins Wunderlampe’.”
„Oh.” Sein Blick wanderte wieder zu Sam. „Hast du einen fliegenden Teppich?”
Sam lachte, ein tiefes volltönendes Lachen, das sogleich Erinnerungen in Andrea wachrief.
„Nein, leider habe ich keinen fliegenden Teppich.”
„Aber ein großes schwarzes Auto”, meinte Joe beeindruckt.
Andrea nahm ihren Sohn bei der Hand. Sie wollte diese Begegnung so schnell wie möglich beenden, bevor Joe noch mehr peinliche Fragen stellen konnte. „Liebling, es wird Zeit für uns. Wenn wir jetzt nicht losfahren, verpasst du noch den Bus zum Sommercamp.”
Joe machte ein enttäuschtes Gesicht, weil er seinen neuen Freund schon verlassen musste.
Dabei zählte er bereits seit Wochen die Tage, bis er endlich zum ersten Mal in ein Camp fahren durfte, wohingegen Andrea dem Ganzen eher ängstlich entgegensah. Nun jedoch schien er plötzlich das Interesse am Camp verloren zu haben. „Kann ich nicht noch ein bisschen bleiben und mit dem Prinz reden?” bettelte er.
„Wie lange wirst du denn im Camp bleiben?” erkundigte sich Sam freundlich.
„Zwei Wochen”, antwortete Andrea für ihren Sohn. „Ich bin sicher, dass du dann bereits wieder weg …”
„Ich verspreche, dass ich dann noch da sein werde, wenn du zurückkommst”, sagte Sam zu Joe.
Dieser strahlte, wobei sich ein Grübchen in seiner linken Wange bildete, das eindeutig an seinen Vater erinnerte. „Darf ich dann mal in deinem Auto mitfahren, wenn ich wieder da bin?”
„Natürlich.”
Andrea schob Joe in Richtung Tür. „Lass uns jetzt gehen.”
„Andrea!” rief Sam ihr hinterher. „Noch eins.”
„Ja?” fragte sie, nicht sicher, ob sie es wirklich wissen wollte.
„Ich werde auch noch hier sein, wenn du zurückkommst.”
Das war genau das, was sie sich immer ersehnt hatte, jetzt allerdings fürchtete.
2. KAPITEL
Sam hatte das Kolosseum in Rom gesehen, Sacre-Coeur in Paris, die Akropolis in Athen.
Doch all diese Eindrücke verblassten im Vergleich zu dem Moment, wo er zum ersten Mal sein Kind sah.
Jetzt saß er schweigend da und bereute bitterlich all die Jahre, die er mit seinem Sohn versäumt hatte. Niemals würde er die
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