So schoen Tot
immer, mitten in der Rhein-Ruhr-Metropole sei die Luft sowieso schlecht, da tue man sich überhaupt keinen Gefallen mit Spaziergängen oder Radtouren. Da würde man sowieso nur Gift einatmen. Wenn ich Anne am Wochenende mal besuche, was selten genug vorkommt, laufe ich immer gern mit ihr um den Unterbacher See, denn natürlich stimmt nicht, was Manni behauptet. Anne genießt unsere gemeinsamen Ausflüge. Solange wir allein sind. Wenn wir wieder bei Manni in der Gladbacher Straße ankommen, verwandelt sie sich jedes Mal in ein graues Mäuschen.
»Kommen wir zur Übung:
Der goldene Drache wedelt mit seinem Schwanz
«, sagt Verena in einer Art Singsang, der zu den Bewegungen passt, die sie macht: Die Hände hat sie vor der Brust zusammengelegt und schwingt die Arme waagerecht locker von der linken Körperseite zur rechten und wieder zurück.
»Also, Manni …«, will Anne wieder beginnen, doch jetzt kriegt sie von mir ein forsches »Psst!«. Ich hab schließlich ein kleines Vermögen für unseren Kurzurlaub ausgegeben, da möchte ich wirklich alles genießen. Einschließlich der Übung des schwanzwedelnden Drachen. Dass Manni sich über uns lustig machen würde, braucht Anne mir nicht zu sagen. Das weiß ich auch so. Aber genau darum geht es eigentlich auch. Um das, was Anne sagt. Beziehungsweise um das, was Anne nicht mehr sagt in den letzten Jahren. Sie ist immer mehr zum Sprachrohr ihres Gatten geworden. Die meisten ihrer Sätze fangen an mit »Manni sagt«. Annesieht die Welt und das, was in ihr passiert, nur noch durch Mannis Augen. Und das ist keine wirklich objektive und schon gar keine intelligente Perspektive.
Einundzwanzig …… zweiundzwanzig …… dreiundzwanzig … Sechsunddreißigmal sollen wir den Drachen mit dem Schwanz wedeln lassen.
Dabei war Anne früher eine Frau, die nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg hielt, die sich informierte, politisch interessiert und engagiert war, von Beginn an zu jenen gehörte, die gegen Atomkraft protestierten und zu Demos gingen. Wir haben uns im Studium kennengelernt. Ich hab eigentlich nur studiert, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. Anne hingegen wollte etwas bewegen. Ich erinnere mich an einen Abend in unserer W G-Küche . Wir hatten eine Dose
Mexikanischer Feuertopf
aufgewärmt und eine Literflasche Lambrusco geköpft. Kurz entschlossen hatten wir leere Bierflaschen, die schon länger herumstanden, als Kerzenständer zweckentfremdet, und drei schwarze brennende Kerzen bildeten die einzige Beleuchtung. War richtig romantisch.
»Ich werde mich von meinen Schülern später duzen lassen«, verkündete Anne, »die Schüler sollen vor mir als Person Respekt haben, dazu brauche ich das dämliche ›Sie‹ nicht.«
»Also, ich find’s nicht dämlich. Das schafft doch Abstand. Und ich glaub, das braucht man in der Schule.«
»Dass du das einfach nicht verstehen willst!«, begehrte sie auf. »Deine Eltern duzt du doch auch und hast Respekt vor ihnen, das kann man als Lehrer auch schaffen. Sonst ist man einfach kein guter Lehrer.«
Ich hab damals überhaupt nicht eingesehen, warum sie sich so aufregte, aber weil ich sie nicht weiter verärgern wollte, hab ich ihr zugestimmt. Reichte ja, dass sie sich oft genug mit den anderen Mädels unserer WG stritt.
Vierunddreißig …… fünfunddreißig… … sechsunddreißig.
»Und nun:
Der Pfau nickt mit dem Kopf
.« Verena macht uns die Übung vor, während wir anderen den Drachenschwanz auswedeln lassen. Die Hände halten wir wie zum Beten aneinandergelegt auf Herzhöhe. Dann schwingen sie in einem Bogen vor und hoch, gehen hinunter bis in den Schambereich und kommen zurück nach oben zur Brust.
»Wieder sechsunddreißigmal?«, fragt eine andere Kursteilnehmerin, deren Namen ich noch nicht kenne. »Ja, jede Übung sechsunddreißig Mal«, nickt Verena, und auch Anne nickt. Nicken kann sie. Das hat sie in den letzten fünfzehn Jahren ihrer Ehe gelernt. Anne war zweiundvierzig, als sie auf Manni traf. Was sie an ihm findet, hab ich bis heute nicht verstanden.
Ich hab Manni das erste Mal am Tag vor ihrer Trauung gesehen. Als er mir die Wohnungstür aufmachte, wusste ich: Das ist ein Typ, der Schießer-Feinripp-Unterhemden und weiße Tennissocken zu Sandalen trägt, garantiert jeden Samstag die Sportschau guckt, wöchentliche Skatrunden hat, sonntags in die Kirche geht und im Kirchenchor singt, weil das eben dazugehört. Kurz, einer jener Spießer, die ich nicht abkann. Als Anne
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