So schoen Tot
Erstens waren sie beide bei ihrem Kennenlernen schon zu alt für eine Adoption und zweitens: Wäre da ein Kind in die Beziehung gekommen, hätte er seinen Prinzenstatus verloren. Und ohne den kann so einer wie Manni nicht leben. Doch ich hab das Gefühl, dass Anne nicht wirklich traurig darüber ist, kein Kind zu haben, denn ihre mütterliche Seite kann sie auch in der Hege und Pflege ihres Mannes ausleben.
Ich werfe einen Blick hinüber zu meiner Freundin, die voller Hingabe dabei ist,
den Wind in die Ohren zu schicken,
und ich glaube, dass sie insgeheim froh ist, dass hier ein Manni-Verbot herrscht.
Die Hände sind hüftbreit auseinander, aber einander zugewandt, und gehen parallel von der Hüfte im Bogen zu den Ohren und wieder zurück. Das wird eine Übung sein, die Anne in- und auswendig kennt. Denn sicher wird vieles, was Manni verkündet, hier rein- und da rausgegangen sein, wie man so schön sagt. Oder geht vielmehr all das, was ihre Freunde und die Leute, die es gut mit ihr meinen, sagen, in den Wind?
Ich hoffe, sie nimmt die nächste Übung als Rat für ihren weiteren Weg, denn bei
Das goldene Licht scheint in die Augen
heben wir die Hände, die wir wie einen Feldstecher vor uns halten, vom Becken bis zu den Augen, öffnen dort die »Brennweite«, schauen kurz hindurch und senken das Opernglas wieder ab. Wenn ich mir beim Universum was wünschen kann, erbete ich mir in diesem Augenblick, dass Anne sieht, wo ihre Zukunft liegt.
Und dass sie gut werden kann, auch ohne Manni.
Ich brauche keinen Feldstecher, kein Opernglas, um in die Gladbacher Straße zu schauen. Auch wenn ich Manni nur selten erlebt habe, weil ich geballte Begegnungen mit ihm einfach nicht ertragen kann, weil ich zur Johanna von Orléans geworden wäre, um Anne im offenen Kampf zu befreien, weiß ich, wie er seinen Wochenendtagesablauf gestaltet. Normalerweise.
Gegenüber ist ein Bäcker, da holt er die Brötchen. Manni holt jeden Samstag und Sonntag die Brötchen. Pünktlich um sieben Uhr dreißig. Unter der Woche nie, da gibt es Graubrot. Gekauft wird immer das vom Vortag, weil es billiger ist. Und weil man es zu Hause ja auch nie am gleichen Tag aufisst. Aber am Wochenende ist er großzügig. Da gibt’s Brötchen. Er kauft ein Weltmeister-, ein Rosinen- und zwei normale Brötchen. Anne würde gern mit ihm über den Markt gehen, es gibt da so wunderbare Stände. Wenn ich sie besuche, dann gehen wir immer aufden Markt. Trinken einen Espresso bei Willi, dem Pfannenverkäufer, und oft steht auch Klaus, der Taxifahrer, dort. Willi hat neben seinem Verkaufswagen eine blaue Plastikbank aufgestellt, es ist fast schon eine kleine Clique, die sich da trifft. Allein geht Anne nie hin. »Das gehört sich nicht«, sagt sie, genießt es aber, mit mir bei Willi, Klaus und Co. zu stehen und zu reden.
Ob Manni heute wieder Brötchen geholt hat?
Immerhin ist Sonntag, und auf sein Rosinen- und auch das Weltmeisterbrötchen mag er garantiert nicht verzichten. Er könnte in seinem Schießer-Feinripp-Hemd am Tisch sitzen, keinen Wert auf richtigen Kaffee legen, und sich deshalb eine Instant-Plörre aufbrühen. Vielleicht kommt dabei ein Fluch über seine Lippen, weil Anne nicht da ist, um ihn zu bedienen. Er könnte es aber auch einfach mal genießen, allein zu sein. So genau kenne ich ihn nun auch wieder nicht.
Als hätte Anne meine Gedanken gelesen, rückt sie etwas dichter und flüstert: »Hoffentlich ist Manni nicht beleidigt, weil ich ihn dieses Wochenende allein gelassen hab. Er hat sich heute noch gar nicht gemeldet. Als du vorm Qigong auf dem Klo warst, hab ich zu Hause angerufen, aber er ist nicht rangegangen.«
Guuut!, denke ich, flüstere aber zurück: »Vielleicht ist er nur unter der Dusche gewesen. Oder Brötchen holen. Aber jetzt, psssst!«
»Hast sicher recht.«
Wir lassen die Hände über Kreuz pendeln, entspannt und locker, nett ist das. Ich werfe einen Blick auf Anne, die Manni jetzt anscheinend vergessen hat und mit Inbrunst dabei ist. Ob sie sich doch langsam von ihm befreit? Er hat sie so fest in seinen Bann gezogen, sogar zum Kirchenchor ist sie mit. Gut, Anne hat immer schon gern gesungen, aber dass sie ein Faible für Kirchenmusik hat, war mir neu.Nun singt sie nicht nur die Matthäus-Passion zu Ostern – drei Stunden lang stehen, was für eine Qual –, auch den
Canto General
des Chilenen Pablo Neruda mit fünfzehn Abschnitten, 231 Gedichten und satten fünfzehntausend Zeilen, was nun wahrlich keine Kleinigkeit
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