So schoen Tot
wissen scheint. Die Tür öffnet sich, und gleich darauf erscheint Sylvia Kaminski in meinem Blickfeld. Mein Herz hüpft vor Freude. Dummerweise kann ich aufgrund der Kieferschiene nicht lächeln, versuche mich aber in einem extra warmen Blick.
»Endlich bist du wach«, seufzt Sylvia erleichtert und schlägt ihre manikürten Finger vor der Brust zusammen. Täusche ich mich, oder bekommt sie glasige Augen?
»Ich war schon ein paar Mal hier, aber du hast drei Tage lang nur geschlafen. Vermutlich wegen der Schmerzmittel.« Sylvia setzt sich auf meine Bettkante. »Mach dir keine Sorgen, Hartmut, der Arzt hat gesagt, es sieht schlimmer aus, als es ist. Aber wenn alles möglichst schnell und gut heilen soll, ist es wichtig, dass dein Körper ruhiggestellt wird. Ich denke, das ist in deinem Sinne.«
Während ich noch überlege, ob es das ist, sagt sie: »Gut. Das habe ich mir gedacht.«
Ich runzle die Stirn, und ein stechender Schmerz durchfährt mich. Vermutlich konnten sie das Hautstück, das Chantal mir herausgepickt hat, nicht finden, um es zu reimplantieren. Und nun spannt die Wunde.
»Ach, Hartmut«, sagt Sylvia und tätschelt meinen Gipsarm, »ich bin ja so froh, dass du glimpflich davongekommen bist.«
Dieses Mal runzle ich nicht die Stirn, sondern winkle fragend ein Bein an.
Glimpflich davongekommen?
Ich? Hat sie mich mal angesehen?
»Du weißt ja vermutlich noch gar nicht, was passiert ist«, bemerkt meine Lektorin jetzt und wird plötzlich blass um die Nase. »Eine wirklich schlimme Geschichte.«
Eine wirklich schlimme Geschichte
? Und wie würde sie das bezeichnen, was mir zugestoßen ist? Leicht beleidigt winkle ich das andere Bein an.
Sylvias Blick ist jetzt so gefühlvoll, dass ich froh um meine bandagierten Lenden bin. Das ist also der Weg in ihr Herz! Appell an ihre Mutterinstinkte. Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin! Während ich noch überlege, ob ich ihr Mitleid forcieren und ein leichtes Wimmern von mir geben sollte, lässt sie schon die Katze aus dem Sack.
»Jetzt stell dir mal vor«, sagt sie, und in ihrem Blick liegt leider nur noch Entsetzen, »im Spa-Hotel, in dem auch du eingecheckt hattest, wurden zwei Menschen ermordet!« Sie schreit es fast heraus. »Zwei von den Therapeuten, bei denen du einen Termin hattest!«
Ich muss mich konzentrieren, um mich nicht vor Schreck an meiner eigenen Spucke zu verschlucken. Wie bitte?
Sylvia nickt, als könne sie meine Gedanken lesen. »Die Polizei sagt, eine junge Frau von der Rezeption habe ihren Freund, den Masseur – Kent hieß er, glaube ich – und die Yogalehrerin Shivairgendwas umgebracht.«
Ich fühle eine leichte Übelkeit in mir aufsteigen. Anna-Lena, die zarte Rezeptionistin mit den entzückend schief stehenden Zähnen, hat mal eben kurzerhand zwei Menschen ermordet? Gut, Kent war natürlich ein Selbstgänger, ohne seine Moxa-Fackel hätte ich den auch schnell in derKiste gehabt. Aber Shivamukta? Hat Anna-Lena die etwa mit ihren offen stehenden Rippenbögen erstochen?
»Sie hat sogar bereits gestanden. Offenbar hegte diese Empfangstussi schon länger den Verdacht, dass ihr Freund eine Affäre hat. Angeblich hat sie dann irgendwelche Aufzeichnungen gefunden, in denen Morde geplant und diese Pläne bis ins Detail notiert waren. Genau habe ich das nicht verstanden, aber die Polizei hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Empfangsfrau einen Komplizen hatte, der das Ganze für sie geplant hat. Verrückt, nicht?« Sylvia kann sich gar nicht wieder beruhigen. »Wie kann man nur einen Menschen umbringen, das ist doch keine Lösung! Sie und ihr Helfershelfer müssen geisteskrank sein!«
Meine leichte Übelkeit ist inzwischen zu einem handfesten Brechreiz geworden. Tausend Fragen liegen mir auf der Zunge, und ein schrecklicher Verdacht beginnt nun auch noch, meinen Verstand zu lähmen. Sind es etwa meine Unterlagen, die Anna-Lena gelesen hat? Demnach müsste Shivamukta vergiftet oder mit der Axt erschlagen worden sein. Igitt.
»Dein Gesichtsausdruck sagt mir, dass du das genauso widerlich findest wie ich, nicht wahr, Hartmut?«
Ich schnappe nach Luft, verdränge den Gedanken an die zerstückelte Shivamukta und schlage zustimmend die Augen nieder. Sylvia scheint erleichtert.
»Kann ich also davon ausgehen, dass du dich gegen den Krimi und stattdessen für einen neuen Provence-Roman entschieden hast?«
Wieder schließe ich kurz die Augen. Sylvia strahlt. »Das ist ja wunderbar.« Erneut tätschelt sie meinen Gipsarm.
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