So schoen und kalt und tot
Abende verbringt er meist bis spät in die Nacht im Park, und ich kann mit Zureden nichts bewegen. Ich wäre glücklich wenn er durch deine Anwesenheit und ruhige Ausstrahlung endlich ein wenig erwachsener und vernünftiger wird.“
Alanis war sehr erleichtert. Da waren ihre Ängste um Benjamin also unbegründet, denn er machte jetzt nichts anderes als sonst immer, trieb sich auch noch nach Einbruch der Dunkelheit in dem düsteren, Angst einjagenden Park herum.
„Möchtest du nun noch etwas zu essen, da wir gemeinsam deine Ängste ein wenig zerstreuen konnten?“, fragte die Lady lächelnd.
„Danke, ich habe keinen Hunger mehr.“ Alanis wollte nur noch in ihr Bett. „Ich bin so müde, dass ich im Stehen einschlafen könnte.“ Sie wünschte Angela noch eine gute Nacht, dann lief sie rasch nach oben.
Auch Melanie war an diesem Tag so müde gewesen, dass auch sie tief und fest schlief. Sie hörte nicht einmal, wie Alanis in ihr Zimmer und durch die Verbindungstüre in ihr eigenes Zimmer lief. Noch immer hing ihre Hand aus dem Bett, als würde sie liebevoll den Hals eines großen weißen Hundes streicheln.
Alanis wunderte sich zwar über die seltsame verdrehte Haltung ihrer Schwester, doch den wirklichen Grund konnte sie nicht einmal ahnen. Und Melanie würde es am nächsten Morgen vermutlich als Traum abtun, den sie wegen all der Geschichten geträumt hatte, die Alanis immer wieder erzählte.
Was wirklich geschehen war wusste nur der große weiße Hund, den alle Countess nannten. Und der konnte es nicht erzählen.
* * *
Der erste Unterricht am nächsten Vormittag gestaltete sich bunt und war voller Überraschungen. Benjamin war fröhlich und sprühte nur so vor Charme. Nur auf die Frage, wann er letzte Nacht aus dem Park zurückgekehrt sei, gab er keine Antwort.
Melanie hatte beschlossen, die ersten gemeinsamen Vormittagsstunden dafür zu verwenden, dass alle sich ein wenig besser kennen lernten. Sie stellte Fragen an Benjamin über seine Kindheit, die vergangenen Jahre, und im Gegenzug durfte auch Benjamin sowohl Alanis als auch sie selbst zu allen möglichen Dingen befragen.
So erfuhr Melanie von Jennifer, Benjamins verstorbener Zwillingsschwester, und sie merkte ganz deutlich, dass der Junge noch immer sehr unter diesem Verlust litt. Vorsichtig versuchte sie ihm zu erklären, dass sie der Auffassung war, dass die Verstorbenen nicht wirklich tot sind sondern in einer anderen Daseinsform weiter um ihre Familie und Freunde sind und, so gut es eben geht, an deren Leben teilnehmen.
Benjamin hörte ihr aufmerksam zu. Immer wieder nickte er, und einige Male sah es so aus, als wollte er ebenfalls etwas zu dieser Unterhaltung beisteuern, ließ es dann aber wieder. Dennoch war die junge Lehrerin überzeugt davon, dass sie es schaffen konnte, den Sohn des Lairds für sich zu gewinnen.
„Nun sollten wir uns jedoch ernsthaft mit den üblichen Unterrichtsfächern auseinandersetzen. Wie sieht es bei dir aus mit Naturkunde, Sprachen, Geschichte, Rechtschreibung?“
Gespannt wartete die junge Lehrerin auf Benjamins Antwort.
Der Elfjährige ließ sich viel Zeit damit. Nachdenklich runzelte er die hohe Stirne, in die eine vorwitzige schwarze Locke fiel, was ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. „Ich habe in den vergangenen Jahren viel gelesen“, sagte er nach einer Weile. „Ich kenne mich aus mit Pflanzen, Bäumen und der Landwirtschaft von Schottland. Von Königin Eizabeth I habe ich auch schon gehört, aber sie wurde, wenn ich mich richtig erinnere, im Jahre 1533 geboren und gehört somit nicht so ganz meiner Generation an.“
Melanie schwieg verblüfft. Damit hatte sie nicht gerechnet. Benjamin schien ein sehr intelligenter Junge zu sein, nur war bis jetzt noch niemand auf die Idee gekommen, dieses zu fördern. „Ich denke, wir werden einen ziemlich spannenden Unterricht haben“, sagte sie nur und nahm eines der Bücher, die auf ihrem Tisch lagen. „Dann fangen wir mit Geschichte an.“
Benjamin verzog zwar das Gesicht, aber er fügte sich ohne Proteste ihrer Entscheidung. Für Alanis wurde der Vormittag zwar etwas langweilig, denn sie kannte den Stoff bereits. Doch auch ihr machte es offensichtlich Freude, sich immer wieder auf Diskussionen bezüglich Sinn und Unsinn der Handlungen längst vergangener Regenten einzulassen.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit der Familie beschloss Alanis, sich eine Weile hinzulegen,
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