So schoen und kalt und tot
reglos da stand und auf den Boden starrte.
Ein warmes, freudiges Gefühl strömte zu ihrem Herzen. Sie blieb einen Moment lang stehen und umfasste mit ihrem Blick den Mann, der geduldig an der teilweise vom Zahn der Zeit zerstörten Mauer lehnte und immer wieder erwartungsvoll in die Runde blickte.
Melanie, die sich hinter einem Busch verborgen hatte, bis sich ihr aufgeregter Herzschlag wieder etwas beruhigt hatte, trat erst vor, als Chester sich wieder angestrengt dem Studium dieses geheimnisvollen Etwas zu seinen Füßen widmete.
Rasch kam sie näher und blieb dann in kleiner Entfernung stehen. „Hallo Chester“, brachte sie sich mit leiser Stimme heraus. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“ Erwartungsvoll forschte sie in seinem Gesicht.
Chester Flannagan hatte sie nicht kommen hören. Erschrocken zuckte er zusammen und verwischte rasch die Linien, die er in den Staub gezeichnet hatte.
Doch Melanie hatte es schon gesehen. Mit einem Stück Holz hatte er zwei Herzen gezeichnet, die ineinander verschlungen waren. Sie spürte, wie sie ein wenig errötete, deshalb wandte sie sich hastig ab. „Heute habe ich meine ersten Unterrichtsstunden absolviert. Benjamin ist ein sehr intelligenter Junge.“
„Das wusste ich“, antwortete Chester, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Die McGregors sind alle sehr gescheite Leute. Sind Sie deshalb gekommen, um mir das zu erzählen?“ Forschend schaute er in ihr Gesicht, dann lächelte er.
„Auch deshalb“, bekannte sie freimütig, ohne seinem Blick auszuweichen. „Erzählen Sie mir noch ein wenig über die McGregors?“
„Nur einmal gab es meines Wissens einen Fall von Geisteskrankheit, aber das liegt schon mindestens eine Generation zurück. Diese Person dürfte inzwischen wohl nicht mehr leben“, berichtete der Ire und war offensichtlich ebenfalls etwas verlegen.
„Ich dachte, ein Spaziergang nach Glannagan könnte mir gut tun. Schließlich möchte ich meine neue Heimat kennen lernen. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass ich die nächsten Jahre meines Lebens hier verbringen werde, zumindest, solange Benjamin eine Lehrerin braucht und mich akzeptiert.“
„Tut er das denn?“
„Ich denke schon“, antwortete sie ohne zu überlegen. „Jedenfalls haben wir uns sehr gut unterhalten, und ich habe auch eine Menge über Jenny erfahren, seine Zwillingsschwester.“
„Eine tragische Geschichte, die die ganze Familie verändert hat“, meinte der Mann leise. „Vor allem der Laird ist seit diesem Unglück nicht mehr fröhlich geworden. Manchmal reitet er spät am Abend, wenn es dunkel ist, davon und kommt erst gegen Morgen wieder. Keiner weiß, was er dann tut und wohin er reitet. Einmal wurde er bei Gewitter an den Klippen gesehen, aber daran kann ich nicht so recht glauben.“
Melanie zog fröstelnd den dünnen Schal um ihre Schultern, den sie sich wegen des Windes mitgenommen hatte. „Lady Angela erzählte mir, dass es sie fast das Leben gekostet hätte, noch ein Kind zu bekommen.“
„Das stimmt. Ich weiß noch, wie verzweifelt der Laird war, als er von der Schwangerschaft seiner Frau erfuhr. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher als ein Töchterchen. Nur war ihm der Preis, das Leben seiner geliebten Angela, zu hoch. Na ja, zum Glück ist ja alles noch einmal gut gegangen.“ Chester lächelte Melanie an. In seinen Augen lag eine Wärme, die man bei ihm gar nicht vermutete.
„Gehen wir ein Stück spazieren?“, schlug Melanie zögernd vor. „Ich möchte die Umgebung so gründlich wie möglich kennen lernen. Das ist eine Marotte von mir“, fügte sie mit verlegenem Lächeln hinzu. „Wenn ich etwas tue, dann richtig und mit allen Konsequenzen.“
„Typisch Lehrerin“, meinte Chester trocken. „Will allem und jedem auf den Grund gehen und vergisst dabei sich selbst.“ In seinen Augen blitzte es kurz auf, aber er lachte nicht. Anscheinend meinte er seine Worte ernster als es schien.
„Hab ich Sie verärgert?“, fragte Melanie erschrocken. „Das war nicht meine Absicht. Ich hatte nur vorhin, als ich durch den Hohlweg ging, auf einmal so ein heimatliches Gefühl, das ich gern ein wenig ausdehnen würde, indem ich auch die Umgebung kennen lerne. Aber wenn Sie nicht möchten, kann ich das auch allein tun.“ Sie lächelte ihn freundlich an. „Dann verabschiede ich mich von Ihnen. Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Würde mich freuen.“ Sie bemühte
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