So schoen und kalt und tot
Gegen ihren Willen folgte Melanie ihm, als er die breite Wendeltreppe nach oben stieg. Automatisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, ohne zu überlegen, was sie da tat.
Die Galerie war genauso, wie sie es erwartet hatte. Düstere Wände starrten sie an, und die dicken Teppiche verschluckten jedes Geräusch. Es roch muffig, als sei schon seit Jahrhunderten nicht mehr gelüftet worden.
„Zufrieden?“
Die Frau zuckte zusammen. Alles hier war wie in ihrem Traum, nur realistischer. Dazu kam, dass sie einen seltsamen Geruch wahrnahm, der ihr Tränen in die Augen trieb und sie zum husten reizte.
Sie schaute den Fremden an, der an die Wand gelehnt stand und sie beobachtete. Mit einigen raschen Schritten ging sie an ihm vorbei.
Wie versprochen hingen an den Wänden eine ganze Reihe dunkler Gemälde, und dazwischen müde flackernde Öllämpchen, die die Umgebung nur sehr spärlich erhellten.
Melanie war wie gefangen. In ihrem Kopf wusste sie, dass sie sofort gehen musste, wenn nicht ein Unglück geschehen sollte. Gleichzeitig jedoch spürte sie, dass sie unfähig war, eine Entscheidung zu treffen.
„Wer sind Sie?“, fragte sie und war überrascht, dass sie diese Worte tatsächlich ausgesprochen hatte. „Sie bewegen sich in diesem Castle, als seien Sie der Hausherr. Sie sind nicht der Verwalter, hab ich Recht?“
Der Fremde schaute ihr ins Gesicht. Er brauchte lange, bis er seinen Mund öffnete, um zu antworten. „Ich bin…“
„Melanie, bist du hier? Ich habe dich laufen gesehen und bin dir gefolgt. Ist Mister Patterson bei dir?“ Eine aufgeregte Männerstimme kam vom Fuße der Wendeltreppe.
Die junge Frau zuckte zusammen. Alle Starre fiel von ihr ab, sie fühlte sich wie damals, als sie von Alanis aus ihrem Alptraum aufgeweckt wurde.
Sie schaute sich um, Entsetzen stand in ihrem Gesicht. Wie war sie in diesen düsteren Flur gekommen? Sie hatte mit einem Mal keine Erinnerung mehr an die letzten Minuten.
Mit raschen Schritten kam Chester Flannagan die Wendeltreppe hoch. „Ein Glück, da bist du ja.“ Er atmete erleichtert auf. Dann fiel sein Blick auf den Mann. „Mister Patterson, ich freue mich, Sie zu sehen. Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, dass ich einfach so bei Ihnen eindringe. Ich war mit Miss Barton verabredet und habe mich verspätet. Bitte, Melanie, verzeih mir, ich wurde aufgehalten.“ Er wandte sich an die junge Frau.
„Das ist schon in Ordnung.“ Melanie war bei der Erwähnung des Namens des Fremden zusammen gezuckt. „Sie sind Mister Patterson?“, fragte sie überrascht, jetzt etwas mutiger, da Chester bei ihr war. „Warum haben Sie es mir nicht gesagt?“
Der Mann lächelte, doch es war keine Fröhlichkeit in seinen Augen. „Wären Sie dann auch mit mir gegangen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Jetzt, da Sie schon mal hier sind, dürfen Sie sich ruhig die Bilder ansehen. Keine Angst, Mister Flannagan ist an Ihrer Seite. Ich werde Ihnen nichts tun.“ Er deutete auf das erste Bild. „Das ist der Urahn meiner verstorbenen Frau, James Mac Pie. Er soll Pirat gewesen sein und das alles hier erbeutet haben. Niemand weiß, ob das stimmt.“
„Vermutlich gehört es in das Reich der Legenden“, meinte Chester und lächelte kaum merklich. Er hatte Melanies Arm ergriffen und hielt ihn fest wie einen Schraubstock. Man konnte ihm die Erleichterung darüber, dass er Melanie gefunden hatte, deutlich anmerken.
„Das ist durchaus möglich. Ich kann jedenfalls nicht das Gegenteil behaupten. Und hier sind die Ahnen der jüngsten Vergangenheit“, fuhr er fort. „Das ist meine Schwiegermutter, als sie noch jung war und dies ist – meine verstorbene Frau Barbara.“ Bei der Erwähnung ihres Namens stockte Charles Patterson, als würde es ihm noch immer großen Schmerz bereiten, über sie zu sprechen.“
Höflicherweise folgte Melanie dem Mann, obwohl sie lieber so schnell wie möglich aus dem düsteren Castle geflüchtet wäre. Dann stand sie vor Barbara Pattersons Bild. Sie hielt den Atem an.
„Das – ist nicht möglich“, stammelte sie und starrte auf die bildhübsche junge Frau, die sie ernst und irgendwie traurig musterte. Zumindest machte der Gesichtsausdruck von Barbara diesen Eindruck auf sie.
Aber das war es nicht, was sie so verwirrte. Barbara Patterson war wie ein Spiegelbild von ihr selbst. Sie hatte dieselben goldblonden Haare, strahlend blaue Augen, und sogar
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