So schoen und kalt und tot
ich bin der Verwalter“, antwortete der Fremde etwas zögerlich. „Möchten Sie das Castle nun sehen oder nicht?“
„Ich weiß nicht, ob ich noch so viel Zeit habe.“ Plötzlich wusste Melanie, dass sie das alte Gemäuer nicht betreten durfte, schon gar nicht in Begleitung dieses Fremden, der immer dann, wenn er lächelte, aussah wie der Teufel höchstpersönlich. Breite buschige Augenbrauen wucherten über den kleinen aber scharf dreinblickenden Augen, und die Nase, etwas zu groß geraten, wirkte in dem für einen Mann viel zu ebenmäßigen Gesicht wie ein Fremdkörper.
„Sie sind doch eben erst gekommen.“
„Laird Ian, er wird bald hier sein, nimmt mich wieder mit zurück nach Rochester Castle. Ich arbeite dort als Erzieherin“, fügte sie als Erklärung hinzu. Sie hatte mit einem Mal das Gefühl gehabt, sich auf irgendeine Weise eine kleine Sicherheit verschaffen zu müssen.
Der Blick des Fremden hing wie festgefroren an ihrem Gesicht. Seine schwarzen Augen taxierten jede Kleinigkeit, als suche er nur nach einer Bestätigung für irgendeine Vermutung.
„Ich muss los. Aber danke für Ihr Angebot, Mister….“
„Meinen Namen werde ich Ihnen verraten, wenn wir auf Glannagan Castle sind. Versprochen.“ Sein Grinsen wirkte jetzt, da sie sich verabschiedete, wie eingefroren. Er reichte ihr die Hand.
Melanie zögerte einen Moment lang, dann ergriff sie sie. „Vielleicht kann ich doch für ein paar Minuten mit Ihnen gehen“, sagte sie plötzlich und wunderte sich selbst über diese Entscheidung. „Aber nur ganz kurz.“
„Ich werde sie nach fünf Minuten wieder zur Türe hinauswerfen.“ Sein Lachen klang dunkel und samtweich, was nicht zu seinem Gesichtsausdruck passte.
Schweigend gingen sie nebeneinander den steilen Weg hinauf nach Glannagan Castle. Melanie überlegte fieberhaft, ob sie dem schweigsamen Mann die Frage stellen konnte, die ihr besonders am Herzen brannte. Schließlich entschied sie sich dagegen, zumindest für den Moment.
Dann hatten sie das Castle erreicht. Der Mann steckte einen überdimensional großen schweren Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Zu Melanies Überraschung ließ sich das große Tor tatsächlich öffnen.
„Treten Sie ein, schönes Mädchen“, begann der Fremde charmant, obwohl das gar nicht zu ihm passte. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen? Immerhin möchte ich meine Gastfreundschaft nicht einfach vergessen.“
Melanie betrat die auffallend große düstere Halle und schaute sich entsetzt um. Das hatte sie schon einmal gesehen – im Traum. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren. –Wach auf, Melanie-, sagte sie sich immer wieder, das ist nur wieder ein schrecklicher Alptraum.
„Möchten Sie die Ahnengalerie sehen?“, fragte in diesem Moment der Fremde.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke, Sir“, antwortete sie gepresst. „Ich denke, ich habe genug gesehen.“ Die Brosche fiel ihr wieder ein. Sollte sie ihn fragen? Doch was, wenn an diesem vermeintlichen Wappen wirklich eine ganze Geschichte hing? Womöglich hatte die Ermordete aus dem Zug auch etwas damit zu tun?
Zu viele schreckliche Dinge waren in den letzten drei Wochen passiert, als dass sie wirklich noch an einen Zufall glauben konnte. Außerdem erinnerte sie sich noch zu deutlich an ihren Traum. Auch da hatte diese Ahnengalerie eine wichtige Rolle gespielt, die sie sich in der Realität ersparen wollte.
„Ich möchte wieder gehen. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mir alles zu zeigen“, stammelte sie und wusste noch immer nicht, was die unerwartete Freundlichkeit des Fremden zu bedeuten hatte.
„Sie waren schon einmal hier“, meinte der Mann und schaute sie mit seinen schwarzen Augen ausdruckslos an. „Ich habe Sie gesehen. Sie waren nicht allein.“
Jetzt atmete Melanie erleichtert auf. Er meinte ihren Besuch mit Chester, als er sie nicht eingelassen hatte. Im ersten Moment hatte sie an ihren Traum gedacht, und das wäre furchtbar gewesen, wenn er diesen Besuch gemeint hätte, denn dann hätte sie wohl oder übel an ihrem Verstand zweifeln müssen.
„Nun kommen Sie schon. Man hat nicht oft Gelegenheit, als Fremder ein Castle von innen zu sehen“, drängte er. „Ich biete Ihnen eine einmalige Gelegenheit, dies zu tun.“ Jetzt zauberte er ein kleines Lächeln auf seine Lippen, was ihn richtig sympathisch aussehen ließ.
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