So schoen und kalt und tot
wollte ihn anfassen. Doch ihre Hand griff ins Leere. Immer wieder versuchte sie eine Annäherung, aber die war nicht möglich. Da erkannte sie, dass der Hund nicht real war sondern eine Erscheinung.
Vor Entsetzen fuhr sie hoch. Ihr Herz klopfte heftig und auf ihrem Gesicht waren kleine Schweißtropfen. Sie schaute sich um und wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Schon wieder spürte sie diese entsetzlichen Panikgefühle, die ihr sogar die Luft zum Atmen nahmen.
Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen, was ihr nach einer Zeit auch gelang. Ihr Herzschlag war jetzt wieder ziemlich gleichmäßig, und die Müdigkeit lähmte ihre Gedanken. Sie wollte sich gerade wieder hinlegen, da entdeckte sie ihn.
Wie eine edle Statue saß er an der Türe, die in den Flur führte. Der große weiße Hund aus ihrem Traum, den sie schon länger kannte.
Countess.
Melanie hielt mitten in der Bewegung inne. Ihre Hände verkrampften sich in die Decke, die Chester ihr gebracht hatte und die sie vor der nächtlichen Kälte schützen sollte.
Sie rieb sich die Augen, konnte nicht glauben, was sie sah. Aber der Hund blieb, ruhig und unbeweglich wie ein Bild saß er nur da und starrte sie an, als wollte er ihr etwas sagen.
Trotz Gänsehaut stand Melanie auf und wollte zu dem Tier gehen. Sie spürte, dass es wichtig war. „Was willst du mir sagen?“, fragte sie leise.
Countess erhob sich und lief ein paar Schritte zur Tür. Dann blieb sie stehen und schaute zurück, ob Melanie ihre stumme Bitte verstanden hatte.
Hastig griff die junge Frau nach ihrer Strickjacke. Zum Glück hatte sie sich am Abend nicht zum Schlafen gehen umgezogen, sodass sie dem Hund jetzt ganz einfach folgen konnte. Sie wollte ihn nur einmal anfassen und feststellen, dass er real war. Mehr nicht.
„Bleib hier, Countess“, bat sie. „Einmal durfte ich dich streicheln, das war wunderbar, auch wenn es nur ein Traum war. Aber ich weiß, dass dein Fell ganz weich ist und dass du mir niemals etwas Böses tun würdest.“
Hatte sie die Worte ausgesprochen oder nur gedacht?
Countess blieb stehen. Geduldig wartete sie, bis Melanie sie erreicht hatte. Ihr Blick war ernst und sanft, so liebevoll, dass der jungen Frau Tränen in die Augen stiegen.
„Du bist wirklich da.“ Vorsichtig vergrub Melanie ihre Hand in dem weichen Fell des Tieres. „Wer bist du, ein Geist, eine Erscheinung, oder ganz einfach ein Hund, der Anschluss sucht?“
Ein leises Winseln war die Antwort. Dann lief Countess weiter, erst die Straße entlang durch die Dunkelheit, bis der Weg abzweigte, der nach Glannagan Castle führte. Dort angekommen wartete sie wieder, bis Melanie sie eingeholt hatte.
„Nein, da geh ich nicht hinauf“, meinte die junge Frau erschrocken und bereute es, Chester nicht aufgeweckt zu haben. Zusammen mit ihm hätte sie sich getraut, aber allein…
Noch ehe sie darüber nachdenken konnte ging sie einfach weiter. Sie spürte, dass Grauenvolles auf sie wartete, wenn sie dem Hund folgte, aber die Sehnsucht nach ihrer Schwester war größer als ihre Angst.
Das hohe Holztor war geschlossen aber nicht abgeschlossen. Countess war ihr die ganze Zeit voraus gegangen, doch jetzt war sie auf einmal verschwunden. Es war nur noch dunkel, eine mondlose Nacht, die nicht enden wollte.
Vorsichtig drückte Melanie die Türklinke herunter, es war nicht abgeschlossen. Leise quietschte es in den Angeln, als sie die Tür öffnete. Der bekannte muffige Geruch schlug ihr entgegen und nahm ihr die Luft zum Atmen.
Sie zögerte.
Angst griff mit klammen Fingern nach ihr. Sie wollte fliehen, einfach nur weg von hier, wo sie die Gefahr körperlich spüren konnte.
Zitternd blieb sie stehen. Die Eingangshalle dehnte sich groß und drohend vor ihr aus, und die spärlichen Öllämpchen an den Wänden spendeten ein gelbes Licht, die einzige Wärme in diesem kalten Gemäuer.
Sie machte einige Schritte, der dicke Teppich verschluckte jedes Geräusch. Dann stand sie am Fuße der Treppe. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie flüchten sollte, wenn sie ihr Leben behalten wollte. Die andere Stimme aber war die von Alanis, die sie bat zu kommen und sie zu retten.
Doch warum retten? Wer sagte denn, dass sie ihre Schwester hier, in diesen Mauern, finden konnte? Sie war allein in die Nacht gelaufen und niemand wusste, wohin sie gegangen war, und sie war einem Hund gefolgt,
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