So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
gutem Aufwachen und leckerem Frühstück los. Die Sonne schien und man sah, dass die Bäume langsam ihre Blätter ausfahren. Zu beobachten, dass der Frühling kommt, ist echt toll.
Ich habe heute auch kurz mit Kirsten Harms gesprochen und ihr gesagt, dass ich die Oper nicht machen kann.Wir haben uns darauf geeinigt, dass der Abend nach meiner Konzeption erarbeitet wird. Das heißt, ein Regieteam inszeniert nach Aufzeichnungen von mir. Dadurch bin ich nicht dabei, aber sie können zumindest ihre Premiere machen.
Dann hatte ich Besuch von Freunden, anschließend kam Kaiser und wir haben wieder eine halbe Stunde geredet. Es war noch eine andere Ärztin dabei, und während des Gesprächs zu dritt habe ich begriffen, dass er zwar ein sehr sachlicher Mensch ist – das tut mir im Moment auch sehr gut –, aber dass er auch immer wieder neu überlegt, was eigentlich der Anlass für Krebs ist. Und warum es Leute gibt, die es besser packen, und andere, die es nicht packen.
Heute habe ich vor allen Dingen darüber nachgedacht, was bei mir der Anlass war, warum ich Krebs bekommen habe. So etwas zu überlegen, einen Grund zu suchen, ist natürlich auch schwierig, aber ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass ich genau in der Bayreuth-Zeit eine Grenze in meinem Leben überschritten habe. Ich habe in meiner Fantasie ja schon immer ein bisschen mit der Todessehnsucht gespielt. Das ist auch okay, wenn man das spielerisch transformiert. Aber beim »Parsifal« war es eben kein Spiel mehr. Ich glaube, da ist Folgendes passiert: Ich wollte die Inszenierung so gut machen, dass ich mich von dieser Musik genau auf den Trip habe schicken lassen, den Wagner haben will. Er selbst war vielleicht abgebrüht genug und hat das abreagieren können. Aber ich glaube inzwischen, dass es sich tatsächlich um Todesmusik handelt, um gefährliche Musik, die nicht das Leben, sondern das Sterben feiert. Das ist Giftzeugs, was der Wagner da verspritzt hat. Das ist Teufelsmusik, die einen wirklich zerreißt, dann noch das Zeug mit dem Karfreitagszauber, der ja wirklich zur völligen Auflösung auffordert. Und nachher noch Nahtod, Lichtkanal: »Sterben! Einzige Gnade! … Öffnet den Schrein, enthüllet den Gral.«
Das reicht echt. Das reicht dicke. Da bin ich ja fast so weit zu behaupten, ja, da haben die Nazis viel Spaß gehabt, das war genau deren Welt. Da konnten die alle mitmarschieren, da haben die alle gesessen und waren plötzlich ganz erregt, weil das ihre Wahrheit war. Das war ihr Ziel: irgendwann im Hinterhöfchen mit dem Benzinkanister unterm Arm und einer Zyankali-Kapsel im Maul den Tod zu zelebrieren.
Genau. Bayreuth ist wirklich ein Fascho-Laden, da wurde einem ja sogar das Lachen verboten. Wenn ich gelächelt habe, haben die schon gedacht, sie müssten mir einen Brief schreiben, weil ich den Laden nicht ernst nehme. Da konnte ich manchmal nur noch im Sauseschritt abhauen, mich im Hotelzimmer einsperren und das Telefon aus der Wand ziehen, weil ich dachte, die rufen gleich an und schmeißen mich raus. Ein absoluter Fascho-Verein da.
Tumor als Dreck
Na ja. Jedenfalls dachte ich in Bayreuth plötzlich, jetzt gehe es um alles, ums Sterben, um meine Zukunft im Nichts, die aber bitte mit der höchsten Auszeichnung oder so.Was für ein Schwachsinn. Das ist einfach Quatsch gewesen. Ich habe den Hebel umgelegt, aber in einer so blödsinnigen Art und Weise, dass man nur sagen kann: Was für ein Wahnsinn. Denn es ist ja nur Dreck, der dann wächst. Es ist ja keine Blume der Schönheit oder sonst was, es ist einfach Dreck.
Bei meinem Gespräch mit Kaiser heute Morgen fragte er mich plötzlich: »Warum reden Sie von dem Tumor immer, als sei er eine Person? Das ist Dreck, das ist einfach Mist, und der ist jetzt raus. Der Dreck ist raus, Feierabend.« Das war eine gute Bemerkung von ihm, das war befreiend, den Tumor einfach als Dreck zu sehen. Als einen Dreck, der raus ist.
Klar, die Chemo und was da noch kommt … Aber egal, das mache ich jetzt. Schluss. Wichtig ist, ich habe heute einen Schlüssel zu dieser Sache gefunden. Aino hat mir kurz widersprochen, als sie beim gemeinsamen Essen mit Carl sagte: »Na ja, jetzt hör mal auf, man muss ja nicht für alles einen Grund wissen. Für manches gibt’s gar keinen Grund. Es passiert, du hast es bekommen und das war’s.«
Mein Schutzpanzer ist geboren.
Hat sie natürlich auch recht, man muss nicht für alles einen Schlüssel finden. Vor allem nicht für diese blöde Krankheit. Da
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