So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
muss man aufpassen, weil es bestimmt genug Leute gibt, die das ganze Leben total klasse finden, gut gelaunt sind, alles ist bestens, und peng, bekommen sie diese Krankheit, keiner weiß, was das soll, wie das geht, warum.Aber für mich ist der Grund gerade wichtig, das hat Aino auch verstanden. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass der Krebs bei mir mit Bayreuth zu tun hat. Kein Papa oder sonst wer, nein, es ist kein anderer, auch kein Objekt, ich bin es selbst gewesen, der diesen dunklen Kanal geöffnet hat. Ich habe ein Tor geöffnet, das ich niemals hätte öffnen dürfen. Und ich habe es jetzt dafür ganz schön dicke bekommen. Sonst hätte ich es wahrscheinlich nicht kapiert. Jetzt weiß ich aber, dass ich das Tor zulassen muss. Mit diesem Gequatsche von »Jetzt geht es um nichts anderes mehr, jetzt geht es um diese Sache und da wird jetzt gelitten und gestorben« –, damit ist jetzt Schluss. Ich habe dafür eine halbe Lunge opfern müssen, ich habe jetzt eine Narbe auf dem Rücken. Das sind alles Tatsachen, das sind alles Dinge, die man sehen, fühlen und spüren kann, man läuft langsamer, man atmet vorsichtiger und das wird mein Leben lang so bleiben. Und das ist auch gut so, weil damit mein Schutzpanzer geboren ist.
Natürlich muss ich aufpassen, dass ich nicht wehleidig werde und Wagner und sonst wen als die großen Verführer zum Tode beschimpfe. Dieses Aalen in der Verzweiflung habe ich ja mit Lust getan, das fand ich teilweise supergeil. Unter dem Motto: Ich bin einer, der jetzt aus der Verzweiflung heraus etwas Großes bewältigen muss, vielleicht auch scheitern wird, aber auf jeden Fall mutig ist und das Tor zum Tod aufreißt.
Jetzt ist Schluss damit. Es ist ganz einfach: Ich bin erregbar durch Musik, durch diese Musik von Wagner besonders, das zerreißt mich, das macht mich fertig. Und deswegen muss ich aufpassen. Das hat Christian Thielemann ja auch gesagt: »Den ›Tristan‹ dirigiere ich nicht mehr. Da stirbt man ja bei.« Das ist auch so. Als ich die Ouvertüre vorgestern gehört habe, kam ich ja fast wieder in so einen Krampf. Da schlugen meine Arme rauf und runter, da schwebte ich hier im Raum, da wurde es hell, da sah ich Gesichter von Toten, da war ich ja nicht ganz bei Sinnen. Und fand’s natürlich mal wieder toll und interessant.
Heute frage ich mich: Warum muss ich das machen? Im Moment finde ich es überhaupt nicht interessant. Ich finde es überhaupt nicht interessant, mich in diesem Wahnsinn zu aalen. Wenn das nicht anders geht, dann bin ich eben nicht dafür gebaut. Dann sollen das andere machen. In der Oper finden genug beschissene Veranstaltungen statt, weil die Leute wissen oder intuitiv ahnen, dass sie da nicht zu tief reingehen sollten, weil sie sonst kaputtgehen. Zumindest bei Wagner, aber vielleicht auch bei anderen, da kenne ich mich nicht so aus.
Musik kommt jedenfalls aus einer anderen Sphäre, Musik ist wirklich göttlich. Das sagen die Indios, das sagen die Afrikaner, das sagen eigentlich alle. Nur wir glauben, sie kommt aus dem Radio. Nein, die Musik ist ein Verbindungsmedium zwischen der Erde und einer anderen Sphäre. Und daher treten in der Musik Tod und Leben unmittelbar miteinander in Kontakt. Das reibt richtig, das vibriert, das gibt Kraft. Das kann auch Kraft rauben, aber dann macht man eben etwas falsch. Eigentlich gibt Musik den Menschen Kraft, sie beeinflusst und verändert ihn. Manchmal macht sie halt irre, dann muss man aufhören, dann muss man auf Distanz gehen. Denn dieses Irrewerden ist nicht produktiv. Da ist man doch nur einer von diesen Pseudogequälten, die dafür geliebt werden, dass sie so unheimlich an der Welt leiden und so exzentrisch und so bescheuert sind. Nein, da muss mehr Distanz her. Ich glaube zum Beispiel, dass Jonathan Meese längst tot wäre, wenn er all das glauben würde, was er da macht und sagt. Dass seine Sachen so absurd und abstrus sind, ist wahrscheinlich seine größte Lebensversicherung. Man darf eine gewisse Grenze nicht überschreiten, sonst öffnet man die Tür zur eigenen Auflösung. Ich finde, dass meine »Holländer«-Inszenierung in Manaus auch gezeigt hat, dass ich es schaffen kann, auf Distanz zu gehen. Geholfen haben mir die Hitze, der Raum mit Drehbühne, die Sambaspieler und die Trommler, die Bootsfahrt auf dem Amazonas – das waren die Dinge, die Wagner und seine Todesmusik belebt haben. Trotz solcher Sätze wie »Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht?« oder »Wenn alle
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