So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
schmerzhaftes Geschenk.
Jetzt ist es schon spät am Abend und ich habe mir gerade die Ouvertüre von »Tristan und Isolde« angehört. Da hat es mich komplett gerissen, ich habe am ganzen Körper gebebt und kaum noch Luft gekriegt. Ich glaube, ich sah aus wie jemand, der einen epileptischen Anfall oder einen Krampf hat. Es war unbeschreiblich, ein absoluter Rausch, ein Abheben. Und ich habe alle gesehen. Alle haben gelächelt und von oben gewunken. Mein Vater und Alfred, Richard Wagner war auch da, alle waren da. Es war wie eine Riesenwolke, wir waren alle da drin, ich schwebte nur etwas weiter unten.
Dieses Verweben von Sphären durch die Musik hat mich sehr beglückt. Meine Brust tat weh, aber es war wunderschön. Mein Gott, diese Musik ist unglaublich. Ich merke gerade, wie gerne ich weiterleben würde, auch um diesen »Tristan« noch zu inszenieren. Wie viel Spaß mir diese Arbeit machen würde. Als ich mir den Schluss der Ouvertüre noch einmal angehört habe, habe ich sogar ein wenig dirigiert und vor dem Spiegel den Spökes von früher gemacht.War auch kein Problem.
Natürlich würde ich mir die Kraft wünschen, auch die Johanna-Inszenierung machen zu können, einfach von meinem Bett aus auf den Monitor zu gucken und zu sagen: »Licht an, Licht aus, jetzt rüberdrehen, jetzt dahin, jetzt dahin.« Natürlich wäre das super, natürlich schwanke ich schon wieder. Aber im Kern weiß ich, dass es richtig ist, abzusagen. Ich muss jetzt Dinge für mich tun. Ich werde in mich reinhören, wie Patti gestern gesagt hat, etwas fühlen und mir sagen: Hör lieber weiter zu. Lass die anderen reden, der Rummelplatz bleibt geschlossen. Genau, der Rummelplatz bleibt jetzt einfach mal geschlossen.
Na ja, so sieht es heute aus. Und eine Aussöhnung wäre auch eine schöne Sache: sich weiterhin aussöhnen und versöhnen und keinen Krieg mehr führen wie früher. Da würde ich am liebsten schon wieder Amen sagen. Amen.
Und ich glaube, dass das Zeug da raus ist. So wie es aussieht, hat es bei mir noch nicht gestreut. Und ich bin nicht nur von zehn, sondern wahrscheinlich von hundert Sicherheitsleuten umgeben. Deshalb machen wir jetzt Prophylaxe. Man muss wohl nur aufpassen, dass sich die Sicherheitsleute nicht untereinander in die Wolle kriegen oder auf den Füßen rumtanzen.
Und wenn alles vorbei ist, dann werde ich gerastert bis zum Abwinken.Wenn man dann wieder was findet, dann wird halt blitzschnell reagiert. Da kriegt man alles in allem noch einige Jahre zusammen. Aber ich glaube noch nicht einmal, dass das wirklich nötig ist. Dass da jetzt noch irgendwelche Reste rumhängen, glaube ich gar nicht, aber selbst wenn: Es wird jetzt weggespült, wird verbrannt, wird ausgemerzt.
Das machen wir so. Und am Schluss habe ich eben ein Andenken auf dem Rücken, und in meiner Psyche bleibt auch etwas hängen. Aber ich werde das schon schaffen, denn ich habe ein paar ganz tolle Freunde und die Liebe Ainos. Und ich spüre, dass ich von denen da oben noch nicht ganz aufgegeben bin. Vielleicht ist das hier ja die Erfüllung meines Wunsches, etwas zu erleben, was mein Denken auf den Punkt bringt. Da geht es nicht um Bebilderung, da geht es um tiefe Ausgrabungen, um Verstrickungen, um Verwebungen. Wichtig ist, dass man die eigene Sache auf das Leid in der Welt bezieht, und dass man über die Schwierigkeiten nachdenkt, dieses Leiden als Kraft zu begreifen. Ich merke es ja an mir selbst, man will nichts anderes, als das es weggeht. Das ist ja auch absolut verständlich. Denn diese Kraft tut sehr weh, Leiden tut weh. Aber wenn es nun schon einmal da ist, muss man sich Gedanken machen, was das für eine Kraft ist und was man aus dieser Kraft machen will. Jetzt schlafen wir mal. Gute Nacht.
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Samstag, 9. Februar
Ich bin mal wieder nah am Wasser gebaut, nicht so sehr aus Selbstmitleid, sondern weil mir immer klarer wird, dass Aino hier Unglaubliches leistet und dass es mein größtes Glück ist, sie an meiner Seite zu haben. Ich habe bis jetzt immer gedacht, ich müsse etwas durchmachen, diese Sache hier sei eine Prüfung für mich. In Wahrheit muss ich mich mal fragen, ob es nicht Aino ist, die hier eine Prüfung macht. Das Wort Prüfung ist natürlich bescheuert, aber wenn hier jemand etwas durchsteht, dann ist es doch Aino. Wieso denn ich? Ich habe jetzt etwas, was ziemlich scheiße ist, okay. Aber es wird alles dafür getan, dass es verschwindet. Außerdem ist Aino da, sie kommt hier hin, sie liegt hier, sie hält mich im
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