So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Arm, sie küsst mich, sie liebt mich, sie hilft mir. Und was mache ich? Ich kann es kaum ertragen, wenn sie irgendwann mal zur Probe gehen will. Und wenn sie wiederkommt, hat sie wieder die heulende Memme hier sitzen.
Ich habe heute Abend so geheult, dass ich gedacht habe, ich werde irre. Ich hatte Platzangst, auch weil meine Brust links total taub und hart ist. Als sei da ein Panzerteil, das in mir feststeckt. Da bekomme ich Panik und renne wie bei einem Lagerkoller rum, dann weiß ich nicht, wie es weitergeht, wie das alles gehen soll. Das darf nicht mehr passieren, dass ich mich hier so aufführe. Schon alleine Aino zuliebe. Sie ist mein größtes Glück, das ist ganz klar, und unsere Liebe wird mich auch tragen und retten.Wir werden das gemeinsam schaffen.
Heute Nachmittag hatte ich einen Besuch, der mir auch zu denken gegeben hat. Helge Schneider kam, wir waren richtig lang spazieren und haben Kuchen gegessen. Das hätte Professor Kaiser bestimmt nicht gerne gesehen, weil er befürchtet, dass ich mich überanstrenge. Deswegen soll ich doch erst Ende nächster Woche entlassen werden. Finde ich natürlich nicht so toll.
Jedenfalls war es unheimlich nett mit Helge. Und als er weg war, habe ich mich gefragt, wie er das alles hinkriegt, wie er das schafft, sich um so viele Leute zu kümmern. Wann habe ich mich denn mal wirklich gekümmert? Nie in meinem Leben. Ich habe ein paar Mal jemanden im Krankenhaus besucht, okay. Da blieb ich eine halbe Stunde, dann war ich wieder weg. Oder ich habe meinen Vater besucht, ein bisschen erzählt, Händchen gehalten, und das war es dann. Ein echtes Gespräch gab es nicht. Ich habe niemandem beim Umzug geholfen, kein einziges Mal. Ich habe auch niemanden zu Hause betreut, der krank war. Helge hat vier Wochen die Wohnung eines erkrankten Freundes aufgeräumt, hat den Sozialdienst organisiert, mit den Ärzten geredet. Jetzt sitzt der Freund da, total geschniegelt und gestriegelt, und ist guter Dinge. Das ist HelgesVerdienst. Und zwischendurch adoptiert er noch ein Kind. Bewundernswert!
Mich so um andere zu kümmern, werde ich wahrscheinlich nie schaffen, aber ich kann und muss aufhören, nur von mir auszugehen. All diese Fragen: Wozu soll mir das dienen? Was ist das? Was meinen die damit?, sind gar nicht wichtig. Das Thema ist:Was erlebt gerade Aino?Was erlebt gerade meine Mutter oder was hat meine Mutter mit meinem Vater erlebt? Was erlebt Rosi mit Werner? Das sind alles Beziehungen, wo ich mal umdenken muss: Nicht der Leidende ist der, der eine Prüfung macht, sondern der, der auf den Leidenden trifft. Deshalb ziehen sich auch manche Leute zurück, weil dieses Aufeinandertreffen bedeutet, dass man sich über manche Dinge Gedanken machen muss, die man im Normalfall lieber wegschiebt. Oder dass man da kläglich scheitert und sich selbst nachher im falschen Licht darstellen muss. »Ach, das tut mir leid« – solche Sätze sind ja oft eine Absage an den anderen, indirekt auch an sich selbst. Es tut einem leid, weil man mit existenziellen Problemen nichts anfangen kann oder will.
Ja, das war ein ganz wichtiger Tag. Ich will, dass das wird, wir werden das schaffen. Aino ist meine Frau, und ich erfahre hier nicht alleine eine Prüfung, sondern Aino erlebt gerade etwas, was sie reifer, erwachsener macht, vielleicht auch offener für religiöse oder spirituelle Momente.
Das mag für viele Leute furchtbar klingen, aber ich kann nur sagen: Wenn man in solchen Situationen steckt, ist es das größte Glück, Momente der Emotionalität und Spiritualität zu erleben. Die ganzen Rationalisten, die behaupten, sie hätten damit nichts zu tun, sie fänden das albern – ich nehme ihnen das nicht ab. Natürlich gibt es Leute, die einfach cool rumliegen. Kompliment. Aber mich beschäftigen dieseVerbindungen zurWelt über mir, sie wühlen mich auf, und ich spüre, dass da in mir wieder etwas auftaucht, was ich vergraben hatte. Und deshalb will ich diese Momente nicht missen. Warum sollte ich hier ohne Emotionen herumliegen? Da wäre ich ja schon tot. Ich will meine guten Fähigkeiten, auch meine Fähigkeiten der Autosuggestion, positiv umlenken. Nicht umlenken, sondern positiv gestalten. Den Umgang mit anderen, dieArbeit mit anderen positiv gestalten, da muss man hinkommen. Das meint Beuys auch, wenn er sagt, dass man mehr loben soll. So soll es sein. Gute Nacht.
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Sonntag, 10. Februar
Heute war ein wunderschöner Tag, ein ganz toller Tag. Unglaublich. Das ging morgens schon mit
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