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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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den anderen über die großen Steine klettern, doch dann war ich gelähmt vor Angst. Was, wenn ich stürzen würde? Es musste in einem anderen Leben gewesen sein, als ich es kaum erwarten konnte, mit meinen Brüdern um die Wette zu rennen und so weit rauszuschwimmen wie möglich. Einmal hatte ich eine Schiene am Arm von einer Handballverletzung. Doch sobald wir am Meer waren, riss ich sie mir ab, um ins Wasser zu können. Das war alles so weit weg; jetzt konnte ich nicht mal mehr in der Sonne liegen, weil sämtliche Knochen im Weg waren!
    Ich mochte unsere kleine Ferienwohnung sehr und hatte mir für das Frühstück eine Art Cornflakes besorgt, die es nur in Frankreich gibt. Ohne Fett, ohne Zucker. Die empfohlene Ration für ein vernünftiges Frühstück war eine kleine Packung, und ich genehmigte mir ein Drittel davon. Natürlich nicht mit purer Milch! Ich kaufte mir 0,3 % fetthaltige Milch und vermischte diese noch mit Wasser.
    Doch für meine Familie stand ich extra früh auf und holte beim Bäckerladen, dessen Duft unglaublich verführerisch durch unsere Wohnung zog, verschiedenste Croissants, und natürlich durfte auch mein geliebtes Baguette nicht fehlen, das ich selbst aber nie essen würde! Meine Mutter gab mir dafür immer Geld mit, doch ich legte aus eigener Tasche immer noch etwas dazu, um auch die mit Schokolade gefüllten Croissants mit massenhaft Kalorien kaufen zu können! Ich wollte sehen, wie die anderen Fett zu sich nahmen und im Urlaub zulegten, während ich abnahm!
    Eines Abends waren wir bei den Nachbarn eingeladen. Das war der blanke Horror, da es sechs verschiedene Pasta-Sorten gab, mit ganz unterschiedlichen Saucen. Schon allein die Tatsache, dass ich bis heute noch genau weiß, welche Saucen es damals gegeben hat, zeigt, wie krank ich gewesen bin! Besessen von Kalorien und Nahrungsmitteln.
    Ich hatte solchen Hunger! Wie lange war es her, dass ich das letzte Mal richtig gegessen hatte? Wann hatte ich das letzte Mal eine anständige Mahlzeit zu mir genommen? Doch ich konnte jetzt nicht nachgeben. Nicht nach all der Mühe und meinem harten Kampf, um mein Gewicht loszuwerden. Ich würde nicht zulassen, dass meine Oberschenkel sich je wieder berühren würden. Jetzt, wo meine Hand sogar quer gut dazwischen passte!
    Jeden Tag überprüfte ich, wie locker mein Ring am Finger saß. Wenn es wärmer wurde, dann schwollen meine Finger an und ich bekam sofort Panik davor, zugenommen zu haben. Hier im Urlaub hatte ich keine Möglichkeit, mich zu wiegen, und das machte mich wahnsinnig! Außerdem musste ich am Tisch sitzen bleiben, bis alle fertig gegessen hatten, da wir ja Gäste waren. Es fiel mir so schwer, vor anderen zu essen. Außerdem konnte ich meinen verschrobenen Essritualen nicht nachgehen, wenn wir eingeladen waren.
    Ich spürte alle Blicke auf mir. Egal, was ich tat, ich wurde dabei beobachtet und hatte Angst vor Kommentaren. Würden sie mich irgendwann in Ruhe essen lassen? So, wie ich es mir vorstellte? So, wie ich es wollte? Mussten sie mich auch bei jedem Bissen so beobachten?
    Während sie mich so ansahen, dachte ich: „Wahrscheinlich wollen sie zusehen, wie ich beim Essen dicker werde.“ Und ich stellte mir vor, wie mein Doppelkinn, das natürlich nicht vorhanden war, immer größer wurde.
    Immer wieder versuchten sie es: „Nimm doch noch ein bisschen mehr von dem hier. Trink doch noch ein bisschen Saft.“ Hallo, ich bin doch kein Kleinkind!? Und sie säuselten ihre Bitten alle in den höchsten Tönen, was mich nur noch aggressiver machte. Natürlich wollten sie nur mein Bestes. Aber ich hatte meinen Willen, und den wusste ich zu verteidigen und durchzuboxen! Wie konnten diese Menschen überhaupt zu den fetten Pasta-Gerichten auch noch Brot essen? Doppelte Kohlenhydrate! Mir wurde allein bei dem Gedanken daran schlecht, dass ich all diese Kalorien selber einmal gedankenlos zu mir genommen hatte!
    Und um noch einen draufzusetzen, tranken sie Wein! Vor dem Nachtisch gab es dann noch Käse mit Trauben. Da standen sie, grün und rund und voller Zucker! Fruchtzucker hin oder her – Trauben strotzten doch nur so von Kalorien!
    Als sie dann noch fröhlich Schokolade verteilten, wollte ich es nicht mehr glauben. Wie konnte es nur sein, dass sie von dem ganzen Essen nicht dicker wurden und ich schon allein vom Anblick der Trauben zuzunehmen meinte? Wieso konnten sie

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