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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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alle an mir rumnörgelten. Außerdem war mein Körper durch die ständige Anstrengung, jeden Tag ein Konzert an einem anderen Ort in Europa, noch schwächer geworden. Ich schluckte täglich mehrere Aspirin, um gegen die Schmerzen anzukämpfen. Das half auch wirklich gegen die Beschwerden, doch ich hatte einerseits kein gutes Gefühl dabei, so viele Medikamente zu schlucken, und dann dachte ich natürlich, dass es mich dick machen könnte. Wo erfährt man denn, wie viele Kalorien in Aspirin sind?
    Ironischerweise stand ich aber jeden Tag voller Power auf der Bühne, während anderen der Tourstress körperlich so zusetzte, dass sie während der Konzerte zusammenklappten. Natürlich gab es auch Momente, in denen mir kurzzeitig schwarz vor Augen wurde, während ich auf der Bühne stand und sang. Es fiel mir fast schwerer, bei den Balladen nur dazustehen und zu singen, als zu tanzen. Das waren dann die Gelegenheiten, bei denen mir schwindlig wurde. Doch ich konnte mich ja am Mikrofon-Ständer abstützen.
    Zweimal wurden zwei Mädchen aus dem Chor auf der Bühne ohnmächtig. Uns wurde beigebracht, in solch einem Fall einfach weiterzumachen und uns ja nichts anmerken zu lassen. Doch nach dem Konzert war ich die erste, die rief: „Wahrscheinlich haben sie zu wenig gegessen!“
    Von den sechs Tourneen mit dieser Gruppe war diese die härteste. Nicht nur wegen meiner körperlichen Schwäche. Wir wurden von der Assistentin der Leiterin sehr hart rangenommen. Wenn beim Konzert etwas schief lief, dann mussten wir am nächsten Tag üben, bis wir nicht mehr konnten. Normalerweise dienten die Pausen an den Raststätten dazu, auf Toilette zu gehen und sich etwas zum Knabbern zu kaufen. Doch sie pfiff uns immer alle zusammen, und dann mussten wir uns aufstellen und tanzen, was das Zeug hielt!
    Mir war das gerade recht. Lieber wollte ich Kalorien verbrennen, als welche zu mir zu nehmen. Noch im Jahr zuvor hätte ich mich tierisch genau darüber aufgeregt, denn ich hatte mir für jeden Tag ein paar Cent auf die Seite gelegt, um mir ein Eis, oder einen Schokoriegel zu kaufen, und diese dann sehr genossen.
    Ich hatte jetzt die „schlanke“ (oder vielmehr rappeldürre) Figur, die ich immer gewollt hatte, und trotzdem war ich eifersüchtig! Die Jungs standen auf eine andere Sängerin, die eher „gut gebaut“ war, und mich beachtete wieder mal keiner. Ich verstand das überhaupt nicht. Noch immer hatte ich nicht begriffen, dass eine positive Ausstrahlung viel mehr Anziehungskraft hat als eine schlanke Figur – mal ganz abgesehen davon, dass ich inzwischen ja so dürr war, dass kein halbwegs normal tickender Junge das noch schön gefunden hätte! Mir begegneten die Jungs eher mit der Haltung: „Oh, auf die müssen wir aufpassen.“
    Super. Lasst mich alle in Ruhe. Ihr habt doch gar keine Ahnung.
    Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mich in diesem dünnen Körper nie wohl gefühlt. Er war nicht mein Zuhause. Ich war immer müde und hatte ein ganz seltsames Gefühl, das ich nur schwer erklären kann. Am ehesten fühlte es sich vielleicht so an, dass ein fremder Körper meine Seele verhüllte. Die wahre Déborah ist extrovertiert, laut, energisch und aktiv. Doch dieser Körper konnte mein wahres Ich gar nicht verkraften.
Wieder zu Hause
    Der Zug aus Holland fuhr in Basel ein, und ich fiel meiner Mutter nach vier Wochen endlich in die Arme. Sie brach in Tränen aus, und heute weiß ich, dass es keine Freudentränen waren. Mein Bruder stand daneben und versuchte, die Fassung zu behalten. Doch wenn ich heute mit ihm über die schlimmste Zeit meiner Magersucht spreche, dann erinnert er sich immer an den Moment, in dem ich aus dem Zug kam und nur noch Haut und Knochen war.
    Ich hatte nochmals abgenommen, war kreidebleich und sah einfach furchtbar aus. Meine Sporthose schlabberte um meine schwachen Beinchen, selbst der Gummizug fand keinen Halt mehr an meinem ausgemergelten Körper. Schon lange hatten meine Oberschenkel sich nicht mehr berührt, nein, sie waren meilenweit voneinander entfernt. Und wo ich früher beim Sport zwei BHs tragen musste, um genug Halt zu haben, brauchte ich nun gar keinen mehr. Ich konnte wieder in der Kinderabteilung einkaufen – und war stolz darauf.
    Die nächsten Tage zu Hause waren nicht wie erwartet erholsam, sondern sehr, sehr anstrengend. Meine Eltern wollten

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