So schwer, sich leicht zu fuehlen
Mädchenâ live singen zu dürfen.
Aufgeregt fuhr ich an den Flughafen, um nach Wien zu fliegen. Doch noch auf dem Weg dorthin klingelte mein Handy. Es war mein Vater. An seine Worte erinnere ich mich noch ganz genau. Er sprach Deutsch, was mich schon ahnen lieÃ, dass es wichtig war. Sonst kommunizierten wir meist auf Französisch: âDéborah, ich bin sehr stolz auf das, was du erreicht hast. Ich möchte nur, dass du weiÃt, dass du ab heute keine unbekannte Person mehr sein wirst. Wenn du mit diesem Lied im Fernsehen gewesen bist, dann hast du dich auch öffentlich zu dem Text bekannt. Du hast immer auf der Bühne Freude versprüht, Menschen ermutigt und Werte vermittelt. Jetzt hast du eine groÃartige Möglichkeit bekommen, doch du trittst mit einem Lied auf, dessen Text völlig falsche Werte vermittelt, mit denen du dich selbst nicht wohl fühlst. Bitte überleg dir das gut.â
Er hatte recht, und ich wusste es. Den ganzen Flug nach Wien dachte ich fieberhaft nach und war sehr unentspannt. Was sollte ich tun? Steve würde ausflippen, wenn ich jetzt absprang. Es war ja auch schon eine Tournee geplant, und sämtliche Auftritte auf Mallorca waren bestätigt. Allein das hätte mich stutzig machen sollen. Komisch auch, dass ich mehr auf mein Aussehen achtete als darauf, an meiner Stimme â dem eigentlichen Werkzeug â zu arbeiten!
Was sollte ich tun? In Wien angekommen stieg ich ins Taxi, und als der Fahrer hörte, dass ich zu den Fernsehstudios gefahren werden wollte, musste ich auch hier wieder meine gesamte Story ausbreiten. Mein Lächeln, während ich davon erzählte, war aufgesetzt. Einerseits war ich sehr nervös, denn das war mein erster Fernsehauftritt, der live ausgestrahlt werden sollte. Doch andererseits hatte das Gespräch mit meinem Vater mich sehr aufgewühlt. Ich wusste einfach, dass er Recht hatte.
Ich wurde in einen kahlen, kalten Raum gesetzt, um dort mit den anderen Gästen der Sendung zu warten. Auf was, das weià ich bis heute nicht. Wir saÃen eine halbe Ewigkeit da herum. Vielleicht ging es auch darum, dass man sich vor der Sendung etwas besser kennenlernt. Jedenfalls bekam ich in diesem kleinen Raum auch keine Ruhe und wollte nun unbedingt mit der Moderatorin sprechen.
Eine endlose Weile später kam sie dann mit einem herzlichen Lächeln auf den Lippen zu mir rüber. Sie war mir auf Anhieb so sympathisch, dass ich das Gefühl hatte, ihr alles erzählen zu können. Und so kam es auch, dass ich ihr innerhalb von wenigen Minuten mein halbes Leben ausgebreitet hatte. Im nächsten Atemzug hörte ich mich sagen: â ... und ich werde den Vertrag mit meinem Manager nicht unterschreiben. AuÃerdem möchte ich die Single heute auch nicht vorstellen. Ich bin Pastorentochter und kein Ballermann-Püppchen, und dazu stehe ich.â
Ich war geschockt, erfreut und erschrocken zugleich über meine plötzliche Klarheit. Fast vier Monate lang hatte ich in einer Scheinwelt gelebt, in der ich wieder einmal zugelassen hatte, dass ein anderer Mensch die Zügel meines Lebens in die Hände nahm und mich führte. Und das nur, um Erfolg zu haben? Um vielleicht einmal einen Hit zu landen? Wir wissen doch alle, wie kurzlebig so etwas ist.
Die Sekunden zwischen meiner Erzählung und ihrer Reaktion waren sehr spannend. Wie würde sie reagieren? Mich hochkant aus dem Studio werfen? Mich auslachen? Doch sie lächelte mich noch strahlender an und meinte: âDu tust genau das Richtige. Endlich mal ein Mädchen, das aufsteht und zu dem steht, woran sie glaubt und wer sie wirklich ist! Es lassen sich zu viele von dem schnellen Weg ins Musikbusiness blenden und tun tatsächlich auch alles dafür ... alles! Déborah, ich bin stolz auf dich. Bitte erzähl genau das Gleiche nachher nochmals, wenn wir auf Sendung sind, und dann singst du einfach Amazing Grace anstelle von Gute Mädchen .â
Wow â war das leicht gewesen! Was hatte ich mir den Kopf zerbrochen, und dann solch eine Reaktion! Fantastisch! Ich kam direkt in die Maske, wurde geschminkt, doch trotz Tonnen von Make-up in meinem Gesicht kam mir mein Lächeln nie echter vor als gerade in diesem Moment!
Natürlich war ich sehr nervös, immerhin war es eine Live-Sendung und meine erste Talkshow. Doch ich verspürte eine ungewohnte Ruhe in mir. Genauso verlief die Sendung dann auch, das Interview wie mein Song. Ich
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