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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Füllung. Sie sagte kein Wort und sie weinte nicht. Ihr Bruder ging zu ihr, legte den Arm um ihre Schulter und führte sie zurück zum Stuhl. Rebus hockte sich nieder, den Rücken an die Wand gegenüber der Stuhlreihe gelehnt. Es war ein trostloser Raum: keine Poster oder Bekanntmachungen, keine Zeitschriften. Nichts, um sich die Zeit zu vertreiben, weil sich hier niemand die Zeit vertrieb. In der Regel musste man höchstens eine Minute warten, so lange dauerte es, den Leichnam aus dem Kühlraum zu holen, damit er identifiziert werden konnte. Danach hatten die meisten es eilig, das Gebäude zu verlassen. Kein Mensch wollte sich auch nur eine Minute länger aufhalten als nötig. Es gab nicht einmal eine Uhr, denn, wie Ness einmal zu Rebus gesagt hatte: »Unsere Klienten haben alle Zeit der Welt.« Einer von zahllosen Sprüchen, mit dem er und seine Kollegen sich die Arbeit erträglich machten.
    »Ich heiße übrigens John«, sagte Rebus zu den Kindern. Das Mädchen starrte wie gebannt auf die Tür, der Junge jedoch schien ihn zu verstehen.
    »Polizei böse«, sagte er mit Nachdruck.
    »Hier nicht«, sagte Rebus. »Nicht in diesem Land.«
    »In der Türkei sehr böse.«
    Rebus nickte verständnisvoll. »Hier aber nicht«, wiederholte er. »Hier ist die Polizei gut.« Der Junge blickte skeptisch drein, was Rebus ihm nicht verübeln konnte. Welche Erfahrung hatte er bisher mit der Polizei gemacht? Polizisten waren zusammen mit den Einwanderungsbeamten gekommen und hatten die Familie in Gewahrsam genommen. Wahrscheinlich sahen für ihn auch die Wachleute von Whitemire aus wie Polizisten: Allen Uniformierten war mit Vorsicht zu begegnen. Allen, die über ihn bestimmen konnten.
    Sie hatten Schuld, dass seine Mutter weinte, dass sein Vater verschwunden war.
    »Wollt ihr hier bleiben? Hier in diesem Land?«, fragte Rebus. Der Junge begriff nicht, wovon er sprach.
    »Welches Spielzeug magst du?«
    »Spielzeug?«
    »Womit spielst du?«
    »Mit meiner Schwester.«
    »Und was spielt ihr? Lest ihr Bücher?«
    Auch diese Fragen konnte er nicht beantworten. Es war, als würde Rebus ihn zur Geschichte der Stadt befragen oder zu den Regeln des Rugby.
    Die Tür ging auf. Mrs. Yurgii schluchzte leise und wurde von ihrer Freundin gestützt. Die Wachleute hinter ihr blickten, der Situation angemessen, ernst drein. Ellen Wylie nickte Rebus zu, um ihn wissen zu lassen, dass die Identität des Opfers bestätigt worden war.
    »Das hätten wir dann wohl«, sagte der ältere Wachmann. Die Kinder klammerten sich erneut an ihre Mutter. Die Wachleute manövrierten die vier auf die Tür zu, die zurück in die Welt der Lebenden führte.
    Der Junge drehte sich nur ein einziges Mal um, als wollte er Rebus’ Reaktion abschätzen. Rebus versuchte es mit einem Lächeln, das nicht erwidert wurde.
    Ness verschwand in den Tiefen des Gebäudes, sodass nur noch Rebus und Wylie zurückblieben.
    »Ob wir mit ihr reden sollten?«, fragte sie.
    »Warum?«
    »Um zu erfahren, wann sie zum letzten Mal von ihrem Mann gehört hat…«
    Rebus zuckte mit den Achseln. »Das ist Ihre Entscheidung, Ellen.«
    Sie sah ihn an. »Was ist los?«
    Rebus schüttelte langsam den Kopf.
    »Es ist hart für die Kleinen«, sagte sie.
    »Wann glauben Sie«, fragte er, »war das Leben dieser Kinder
nicht
hart?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Niemand hat sie gebeten herzukommen.«
    »Da haben Sie wohl Recht.«
    »Aber darum geht es Ihnen nicht?«, vermutete sie.
    »Ich finde nur, dass sie eine Kindheit verdient haben«, antwortete er. »Mehr nicht.«
    Er ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen, und blickte Wylie nach, als sie in ihrem Volvo davonfuhr. Er marschierte auf dem kleinen Parkplatz auf und ab, vorbei an drei neutralen Lieferwagen der Gerichtsmedizin, die dort auf ihren nächsten Einsatz warteten. Im Gebäude saßen die Angestellten vermutlich bei einer Kanne Tee und spielten Karten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es einen Kindergarten, und Rebus dachte darüber nach, wie kurz der Weg vom einen zum anderen war, trat die Zigarette aus und stieg in seinen Wagen. Fuhr Richtung Gayfield Square, aber am Revier vorüber. Es gab da ein Spielwarengeschäft auf der Elm Row: Harburn Hobbies. Er parkte vor dem Eingang und ging hinein, packte das eine oder andere ein, ohne auf den Preis zu achten: ein einfaches Eisenbahnset, ein paar Modellbaukästen, eine Puppe mit Puppenhaus. Der Verkäufer half ihm, die Sachen ins Auto zu laden. Als er wieder hinterm Steuer

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