Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
Vom Netzwerk:
Herzinfarkt.«
    »Ja.«
    »Nachts.«
    Wir hoben im selben Moment die Tassen an die Lippen.
    »Vermisst du ihn?«
    Sie sah mich erstaunt an. »Natürlich.«
    »Nur so aus Neugier, aber hat er jemals von mir gesprochen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Ich hatte es gewusst.
    »Erst als er starb«, fügte sie hinzu. »Er war nicht bei Bewusstsein, aber ich habe ihn deinen Namen sagen hören.«
    »Meinen Namen hat er gesagt? Das war’s?«
    »Ja.«
    Dieser Dreckskerl. Dieser elende alte Dreckskerl.
    »Er hat dich geliebt, musst du wissen. Auf seine Art. Wir haben immer nur getan, was wir für das Beste hielten.«
    Wie vorhersehbar diese Unterhaltung doch war. Ich setzte mich auf dem Sofa zurück und legte die Hände um meine Tasse.
    »Beantworte mir nur eine Frage: Glaubst du auch heute noch, dass es das Beste für mich war?«
    Ich sah, wie sie mit sich rang. Immerhin hatte sie ihr ganzes Leben in den Dienst der Organisation gestellt. Sie konnte unmöglich zugeben, dass ihr ganzes Leben eine Farce gewesen war.
    »Ich weiß es nicht mehr, Caroline. Ich weiß es einfach nicht.«
    Mir war klar, dass dieses Eingeständnis enorm für sie war. Sie hatte ihre zitternden Hände im Schoß gefaltet und rieb rhythmisch die Daumen aneinander – eine Geste, an die ich mich vage erinnern konnte.
    »Tja, das ist ja immerhin ein Anfang«, bemerkte ich.
    Sie sah nicht überzeugt aus. Ihr Kopf wackelte leicht. Wahrscheinlich eine Auswirkung der MS.
    »Wohin bist du gegangen, Caroline? An diesem Tag, meine ich.«
    Ich wusste, worauf sie anspielte. Mit einem Seufzer lehnte ich mich auf dem Sofa zurück. Wahrscheinlich verdiente sie es, die Wahrheit zu erfahren.
    »Nach Frankreich.«
    »Nach Frankreich? Aber du hattest doch gar keinen Pass.«
    »Ich habe mir einen besorgt.«
    »Wie denn?«
    »Gestohlen.«
    Schockiert starrte sie mich an. Herrgott noch mal, war diese Frau naiv.
    »Ich hatte keine andere Wahl, schließlich musste ich irgendwie überleben. Also habe ich eine Handtasche gestohlen, in der rein zufällig auch ein Pass steckte.«
    »Was hast du in Frankreich gemacht?«
    »Oh, dies und das. Sightseeing und solche Dinge.«
    Meine Flapsigkeit schien sie so zu enttäuschen, dass ich es nicht über mich brachte, sie noch länger so zu behandeln.
    Nun war ich diejenige, die aus dem Fenster sah, während sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Ich war nicht sicher, ob ich wirklich alles erzählen sollte.
    »Ich hatte einen Nervenzusammenbruch«, erklärte ich so sachlich, wie ich nur konnte. Sie hing förmlich an meinen Lippen. »Du weißt schon … ich bin ausgeflippt, habe den Verstand verloren, bin durchgedreht. Nenn es, wie du willst.«
    »Nein, nein«, sagte sie, und ihr Tonfall verriet mir, dass sie genau das befürchtet hatte. Vielleicht in all den Nächten, während er schlafend neben ihr gelegen hatte, nachdem sie die Kalligrafie-Lesezeichen in ihre spirituelle Abendlektüre gelegt und das Licht ausgeschaltet hatten. Vermutlich hatte sie sich alles Mögliche ausgemalt.
    »Doch. Man hat mich eingesperrt …«
    Natürlich habe ich all die Jahre mit diesem Wissen gelebt, doch es laut vor jemandem auszusprechen, lässt es irgendwie wahrer werden, konkreter, realer und, was das Allerschlimmste ist, es bringt alles wieder ans Tageslicht. Ich hatte nicht damit gerechnet, wie sehr es mir zusetzen würde, einen anderen Menschen in mein Geheimnis einzuweihen. Meine Stimme zitterte, als ich fortfuhr. »… in eine psychiatrische Anstalt.«
    Ich sah sie an. Sie hatte sich eine Hand vor den Mund geschlagen, während ihr die Tränen aus den Augen schossen wie bei einem Springbrunnen. Ich senkte den Blick. Ich wollte ihr Mitleid nicht.
    »Wie lange?«, flüsterte sie.
    Ich musste gegen den Kloß anschlucken, damit die Worte über meine Lippen kamen. »Über ein Jahr.«
    Sie saß da, kopfschüttelnd, während Tränen auf Tillys Fell tropften. Sie machte Anstalten, aufzustehen und mich zu trösten, doch ich hob die Hand.
    »Nicht«, flüsterte ich. »Ich muss dir eine Frage stellen, Mum … Wieso bist du nie gekommen, um mich zu holen?« Ich klang wie ein kleines Mädchen.
    »Ich wusste nicht, wo du warst.«
    »Hast du denn nicht nach mir gesucht?«
    »Dein Vater hielt es für besser, es nicht zu tun.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Mein Vater, mein Vater … Aber du bist meine Mutter. Wieso hast du es nie getan?« Vergeblich versuchte ich, meine Wut zu unterdrücken.
    »Es tut mir leid, Carry, so unendlich leid. Ich wusste, was du

Weitere Kostenlose Bücher