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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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die Uhrzeiten.«
    Ich war aufrichtig schockiert. »Nein, das habe ich nicht getan!«, widersprach ich und fragte mich, wer es stattdessen gewesen sein mochte. Ein Geniestreich.
    Mittlerweile hatte ich wieder Oberwasser, weil sie die Quelle ihrer Demütigung preisgegeben hatte. Einzelne Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht, und ihre Wangen waren hochrot. Sie war drauf und dran, die Nerven zu verlieren, und atmete durch den Mund ein und aus, so wie man es machen soll, wenn man Seitenstechen hat.
    »Was soll ich denn am Telefon gesagt haben?« Genüsslich kostete ich ihre missliche Lage aus.
    »Du weißt ganz genau, was du gesagt hast, du verabscheuungswürdiges Ding. Ich würde diese Worte niemals in den Mund nehmen, aber ich kann dir versprechen, dass du dieses Zimmer erst verlassen wirst, wenn du gestanden hast.«
    Sie stand auf, beugte sich vor und drehte den Gasofen ab, ehe sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte.
    Am dritten Tag nahm sie mich mit nach unten zur Versammlung. Alle Schüler erhoben sich, als sie hereinkam. Sie befahl mir, aufs Podium zu treten, ohne den Kopf zu heben. Ich spürte alle Blicke auf mir ruhen, während ich auf die Holzdielen und die Hausschuhe der Mädchen in der ersten Reihe starrte.
    Wie üblich begann sie mit dem Sanskritgebet.
    »Hinsetzen!«, befahl sie, woraufhin alle in gespannter Erregung ihre Plätze einnahmen.
    »Du nicht!«, herrschte sie mich an. Meine Hände fühlten sich klamm und feucht an.
    »Ich will, dass ihr euch alle Caroline Stern genau anseht …«
    Ich konnte mich nicht beherrschen und hob den Kopf. Bestimmt hundert Mädchen starrten mich ausdruckslos an. Ich hielt nach Megan Ausschau, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken.
    »Kopf runter!«, schrie Miss Fowler laut, so dass ihre Stimme heiser klang, als sie fortfuhr. »Seht sie euch genau an … denn dies ist das letzte Mal, dass ihr sie ansehen werdet. Solltet ihr es trotzdem tun oder sonst in irgendeiner Weise mit ihr in Verbindung treten, erwartet euch eine schwere Strafe. All das geschieht zu eurem eigenen Besten, Mädchen. Sie ist der leibhaftige Teufel. Seid gewarnt. Wenn ihr in ihre Nähe kommt, wird sie euch vergiften.«
    Dies war das letzte Mal, dass ich mit meinen Freundinnen Kontakt hatte. Ich verbrachte den restlichen Tag in der Ecke ihres Arbeitszimmers vor der Markierung meiner Zunge, und wenn sie unterrichtete, musste ich mit dem Gesicht zum Wasserrohr draußen stehen bleiben. Und genau dort würde ich bleiben müssen, bis ich bereit war, die Telefonanrufe zu gestehen.
    Die Eltern meiner Klassenkameradinnen wurden in einem Schreiben informiert, dass ich einen schlechten Einfluss auf ihre Töchter hätte, und Miss Fowler behauptete, sie hätte reihenweise Berichte über meinen Ungehorsam von Müttern erhalten. Eine hätte mich fluchen gehört, eine andere wollte mich in »aufreizender Kleidung« gesehen haben.
    Und damit begann die eigentliche Strafe. Kleinere Kinder liefen davon, als ich am nächsten Morgen in die Schule kam, tuschelten und warfen mir verstohlene Blicke zu. Ich bemühte mich, sie nicht zu beachten, während ich mich innerlich vor Wut und Scham wand. Erwachsene, die ich kaum kannte, straften mich mit feindseligen Blicken und kurz angebundenen Erwiderungen.
    Es war ein ziemlich seltsames Gefühl, mit einem Mal die Quelle von Gift und Galle zu sein. Es verlieh mir zwar Macht, allerdings auf eine völlig verkehrte Weise. Ich malte mir aus, wie mir das Gift aus sämtlichen Poren drang, aus dem Mund, den Augen, meinen Fingerspitzen, wie es wie Natronlauge schwelte und ätzte und alles zerfraß, was damit in Berührung kam.
    An diesem ersten Nachmittag spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte, und drehte mich um – eine tapfere Frau, die es wagte, mit mir zu sprechen. Deborahs Mutter.
    »Du gehörst nicht länger hierher«, erklärte sie in selbstgefälligem Tonfall, als könnte sie endlich allen erzählen, sie hätte es ja schon immer gewusst. Ihre Worte trafen mich zutiefst. Und ich hatte geglaubt, sie wolle etwas Nettes zu mir sagen.
    »Gut«, antwortete ich. »Ich hasse euch sowieso alle.«
    Und genau das tat ich auch. Aus tiefstem Herzen, alle miteinander. Ich drehte mich wieder zu der heißen Wasserleitung um und presste meine Stirn dagegen, bis sie schmerzte. In meinem Innern brodelte es wie in einem Vulkan, dunkelrot und lodernd vor Zorn, so sehr, dass ich mich nicht beherrschen konnte. In regelmäßigen Abständen stieß ich einen Schrei aus, während mir Tränen der

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