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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Kopf unter Wasser, für den Fall, dass das Telefon läutete –, hörte ich den Schlüssel im Haustürschloss. Ich sprang aus der Wanne und schnappte mir ein Handtuch. Ja, ich hatte mich nicht verhört. Es war das vertraute Geräusch des Schlüssels, der sich im Schloss drehte. Ich riss den nächsten Morgenmantel vom Haken – in diesem Fall seinen –, entschied mich jedoch, angesichts der Umstände lieber meinen eigenen überzuziehen. Schließlich trat ich aus dem Badezimmer und setzte mich auf die Stufen. Seine Silhouette war in der Milchglasscheibe der Haustür zu erkennen. Er trat ein, ohne mich zu bemerken. Tilly sprang freudig an ihm hoch, woraufhin er sie auffing und ihr unsinnige Freundlichkeiten ins Ohr flüsterte. Die Glückliche!
    Dann hob er den Kopf und sah mich dort sitzen. Schlagartig verdüsterte sich seine Miene. Er hatte nicht damit gerechnet, mich zu Hause vorzufinden. Eigentlich müsste ich bei der Arbeit sein. Er sagte kein Wort. Langsam ging ich die Treppe hinunter. Bitte, ignorier mich nicht einfach.
    »Hi«, sagte ich.
    »Ich wollte meine Sachen abholen«, erklärte er brüsk. »Ich ziehe aus.«
    Ich nickte. Genau diese Worte hatte ich am meisten gefürchtet.
    »Du siehst entsetzlich aus«, fuhr er fort, was angesichts der Umstände wohl noch nett formuliert war.
    Wieder nickte ich. Die Tränen taten ihr Übriges. Ich sah ihm an, dass er erstaunt war. Er hatte mich noch nie weinen gesehen.
    »Tja«, sagte er knapp. »Es freut mich zu sehen, dass ich dir wenigstens etwas bedeutet habe. Oder weinst du aus Selbstmitleid?«
    »O Joe«, stieß ich zwischen zwei Schluchzern hervor.
    »Du Idiotin«, erwiderte er, wenn auch nicht unfreundlich.
    »Ich weiß.«
    »Wie lange geht das schon so?«
    »Seit Cornwall.«
    »Du elende, verdammte Idiotin!« Seine Augen füllten sich mit Tränen. Es war grauenhaft.
    Wieder nickte ich und wischte mir mit dem Ärmel das Gesicht ab.
    »Wohin ziehst du?«, fragte ich.
    »Zu meiner Mutter.«
    Wir sahen einander in die Augen. Die Ursache von solchem Leid zu sein, war beinahe obszön.
    »Es tut mir so leid«, schluchzte ich.
    »Ja«, entgegnete er. »Das sollte es auch!«
    Es gab nichts mehr zu sagen. Er ging an mir vorbei ins Schlafzimmer, um seine Sachen zu packen.
    »Den Rest hole ich irgendwann ab«, sagte er. Am liebsten hätte ich ihn am Arm gepackt und mich an ihn geklammert. Stattdessen streiften meine Finger lediglich über seinen Ärmel.
    Das war’s also. Das Ende unserer Beziehung. Wie zerbrechlich doch alles war.
    Tilly saß am unteren Treppenabsatz und sah zu mir und Joe herauf. Sie hatte die Ohren angelegt und wedelte nervös mit dem Schwanz, als könnte sie irgendwie dazu beitragen, dass die Dinge nicht mehr so schlimm waren. Doch es war zwecklos.
    Ich lag im Bett und weinte. Mittlerweile konnte ich nicht einmal mehr sagen, weshalb ich weinte, sondern verspürte lediglich ein tiefes Gefühl des Verlusts – kein spezifischer, sondern einfach Verlust im Allgemeinen. Ich gammelte herum, ungewaschen und mit ungeputzten Zähnen, sehnte mich nach Schlaf, nach tiefem, heilsamem Schlaf. Unvermeidlich streiften meine Gedanken das Thema Selbstmord. Vielleicht war dies ja meine Standardreaktion auf Krisen. Es erschien mir das einzige Produktive in dieser Situation zu sein. Ich sehnte mich nach Joe, vermisste ihn mit jeder Faser meines Herzens, doch er rief kein einziges Mal an oder schickte mir eine Nachricht. Ich war seiner nicht würdig, hatte ihn nicht verdient. Steinberg hatte ich zweimal eine Nachricht geschickt – »Lass mich in Ruhe. Ich meine es ernst« –, um ihn mir vom Leib zu halten.
    Stundenlang lag ich da und starrte Tilly an, die auf dem leeren Platz neben mir im Bett lag. Mittlerweile hatte ich sämtliche häuslichen Regeln außer Kraft gesetzt. Jede Nacht schliefen wir Nase an Nase. Ich beneidete sie um ihr Hundehirn, das nicht zu analysieren vermochte; um ihre uneingeschränkte Freude, wenn sie einen Vogel zwitschern, einen anderen Hund bellen oder nur den Regen gegen die Scheiben prasseln hörte. Die Befriedigung ihrer instinktiven Bedürfnisse war ihre einzige Triebfeder. Ich beschloss, fortan wie sie zu leben. Wir standen lediglich auf, um zur Toilette zu gehen oder etwas zu essen. Nur im äußersten Notfall ging ich nach unten, um mir aus dem altbackenen Brot ein Sandwich zu machen und Tilly in den Garten zu lassen, ansonsten blieben wir im Bett.
    Den ganzen Tag tat ich nichts anderes, als mir die Decke bis zum Kinn hochzuziehen, an die

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