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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Sterns?«
    »Nein«, antwortete er. »Hier wohnen meine Tochter und ihr Mann.«
    »Oh.«
    »Sie leben schon seit … Janet?«, rief er über die Schulter. »Seit wann wohnt ihr hier?«
    Ich war zutiefst gekränkt, auch wenn es noch so lächerlich sein mochte. Wie kam es, dass mir keiner etwas gesagt hatte? Ich spürte, wie mir die Tränen kamen.
    »Danke«, sagte ich, ohne eine Antwort abzuwarten, machte auf dem Absatz kehrt und ging zum Gartentor.
    Inzwischen war ich das Gespenst, die Geschichte. Ich rannte den Hügel hinunter bis zur U-Bahnstation.
    Steinberg hatte abgenommen. Er sah müde und niedergeschlagen aus. Ich sah ihn als Erste. Er saß an einem Tisch in der Ecke und blätterte die Zeitung durch. Oder er tat zumindest so. Ich beobachtete, wie er immer wieder den Kopf hob, doch er erwartete mich aus einer anderen Richtung. Ich hatte dieses Café in Portobello ausgesucht, weil dies hier meine Stammgegend war und ich mich sicher und geborgen fühlen musste, wenn ich ihm die entscheidende Frage stellte. Ich brauchte die Gewissheit, jederzeit aufstehen und nach Hause flüchten zu können.
    Steinbergs Züge erhellten sich kurz bei meinem Anblick. Die Vertrautheit seines Gesichts hatte etwas Tröstliches. Am liebsten hätte ich die Hand ausgestreckt und ihm über die Wange gestrichen, bis hinunter zur Kinnlinie, aber natürlich verkniff ich es mir. Er stand auf, und wir küssten uns über den Tisch hinweg zur Begrüßung. Er versuchte mich zu umarmen, doch ich hatte mich bereits abgewandt.
    Ich zog meine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Keine Ahnung, woran es lag – an meinen Nerven, der Schwangerschaft oder lediglich an der Heizung –, jedenfalls brach mir der Schweiß aus sämtlichen Poren. Steinberg hatte seine Hemdsärmel hochgekrempelt, während ich, ohne zu überlegen, meine Strickjacke auszog. Eilig setzte ich mich hin. Wenn es nach mir ging, sollte er nichts von meiner Schwangerschaft mitbekommen, deshalb würde ich darauf achten müssen, nicht aus Versehen aufzustehen. Ich war nicht ganz sicher, wie offensichtlich mein Babybauch inzwischen für andere war. Bisher hatte niemand bei der Arbeit etwas gesagt, doch wenn ich mich nackt im Spiegel ansah, kam ich mir vor wie Buddha. Ich legte mir meine Strickjacke auf den Schoß und streichelte sie wie ein Lieblingsstofftier.
    Steinberg und ich sahen einander einen Moment zu lange in die Augen. Es war unmöglich, die Intimität zu leugnen. Das Band zwischen uns war so stark, dass es sich anfühlte, als wäre dieser Mann meine Lebensader. Doch mir war durchaus bewusst, wie sinnlos diese Empfindung war; wenn sie also der einzige Genuss war, der mir blieb, würde ich darauf verzichten und ihm ungeniert in die Augen sehen.
    Schließlich durchbrach die Kellnerin die Magie des Augenblicks. Sie war eines dieser aggressiv-freundlichen Geschöpfe, die sich in ihrer Rolle viel zu wichtig nahmen. Bring einfach den Kaffee und verzieh dich!
    »Hey, Leute!«, begrüßte sie uns mit lauter, versoffen klingender Reibeisenstimme, in der ein australischer Akzent mitschwang, »sagt einfach Bescheid, wenn ihr so weit seid.« Sie knallte zwei übergroße Speisekarten auf den Tisch.
    »Für mich nur einen Filterkaffee mit viel heißer Milch«, sagte ich und gab ihr die Karte zurück, ohne den Blick von Steinberg zu wenden.
    »Klar, Herzchen«, meinte sie. »Ich sehe schon, ihr beide habt was zu besprechen.«
    Großer Gott, seit wann erlaubte man Servicepersonal eigentlich, so anmaßend zu sein? »Danke, das ist alles«, erklärte ich eisig.
    Steinberg ließ seine Karte sinken und sah mich lächelnd an.
    »Du siehst … anders aus«, sagte er mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen. Ich spürte, dass er mich am liebsten berührt hätte, jedoch genau wusste, dass ich es nicht zulassen würde.
    »Ja.«
    »Dünner.« Er meinte mein Gesicht. Meinen Bauch hatte er offenbar nicht bemerkt.
    »Ja. Du auch.«
    »Aber … immer noch wunderschön.«
    Ich wünschte, er hätte das nicht gesagt. Ich blickte in meinen Schoß, dann wieder in seine traurigen blauen Augen. »Es tut mir leid, Steinberg, es tut mir so leid.«
    Er nickte. »Manchmal tut es mir auch leid, manchmal nicht«, sagte er und drehte mit knappen Bewegungen den kleinen bunten Pfefferstreuer hin und her. Die Geste erinnerte mich an Cameron, der mit seiner Bierflasche herumgespielt hatte.
    »Ich wollte nicht, dass es so kommt«, fuhr ich überflüssigerweise fort.
    »Willst du damit sagen, du hast es nicht

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