So still die Nacht
aus elfenbeinfarbenem Organza.
»Lord Alexander«, rief sie.
Evangeline riss ihre gelben Röcke aus Minas Händen. Mina schaute auf, und ihr Blick traf seinen. Die Muskeln in Marks Unterleib spannten sich an, ein Beweis für seine zärtliche Hingabe, vermischt mit wolllüstigen Absichten. Viel hing von diesem Abend ab – vor allem, ob er in der Lage sein würde, erfolgreich ihr Vertrauen zu gewinnen. Er hatte seine Übersetzungsnotizen von der ersten Schriftrolle noch einmal durchgesehen. Die gegenwärtigen Wellen tantalytischer Macht – diejenigen, die wahrscheinlich seinen Wahn auslösten – trafen nicht mehr mit den Prophezeiungen zusammen. Es war, als wüsste Tantalos seit der Vollstreckung seines Boten Jack the Ripper, dass sich das Spiel verändert hatte. Mark konnte unmöglich sagen, wann die nächste Welle über London hinwegrollen würde.
»Wir warten schon seit Stunden auf Sie.« Astrid eilte auf ihn zu. Außer Hörweite der beiden anderen Mädchen flüsterte sie: »Sie werden doch mit mir tanzen, nicht wahr?«
»Natürlich«, stimmte er zu. Gerade weil es eine ziemlich kühne Einladung ihrerseits war, wäre es ungehobelt gewesen, abzulehnen. »Miss Limpett, wie geht es Ihnen heute Abend? Haben Sie sich von Ihrer Verletzung erholt?«
Mina nickte, so höflich und herablassend wie vor ihrem Kuss.
»Vollkommen, Euer Gnaden.« Sie sah ihm nur flüchtig in die Augen. »Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme.«
Astrid seufzte ungeduldig.
Da er Mina in dem überfüllten Haus nicht aus den Augen verlieren wollte, sprach Mark eine Einladung aus. »Miss Limpett … Lady Evangeline, wollen Sie uns in den Garten begleiten?«
»Natürlich, Euer Gnaden.« Evangeline, außer sich vor Freude, raffte ihre Röcke und eilte auf ihn zu, sodass sie ihm die Sicht auf Mina versperrte. Als er wieder freien Blick auf sie hatte, drehte sie ihm den Rücken zu, um ihre Schere und ihr Garn einzusammeln.
Die Botschaft traf ihn. Er wünschte sich nichts mehr, als ihren Arm zu ergreifen, sie in irgendeine dunkle Ecke des Hauses davonzuschleppen und sie an die gegenseitige Anziehungskraft zwischen ihnen zu erinnern – aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als in den hinteren Teil des Hauses zu gehen. Mit einer Debütantin an jedem Arm spielte er seine Rolle gut – der Filou mit den feurigen Augen –, im vollen Bewusstsein der weiblichen Bewunderung und des männlichen Neids, die ihm auf dem Weg entgegenschlugen. Nur dass das Wissen darum ihm jetzt hohl erschien. Eitelkeit stellte ihn nicht mehr zufrieden. Und das Schlimmste von allem war: Die Frau, um derentwillen er heute Abend hergekommen war, diejenige, die er sich während der dunkelsten Stunden der Nacht in seinem Bett vorgestellt hatte, hatte ihn kaum eines Blickes gewürdigt.
Mit seinen beiden hübschen Vögelchen passierte er die überfüllte Galerie. Alle Fenster standen offen. Draußen sprenkelten orientalische Lampen die Bäume. Ein Diener war damit beschäftigt, die Scherben und Spritzer eines zerbrochenen Champagnerglases zu beseitigen.
Die nächste Stunde verging in einem trüben Nebel aus Tänzen und idiotischer Konversation, und Mark verbot es sich bewusst, sich auf die Suche nach Mina zu machen.
»Werden Sie Ihre Gastgeberin nicht zum Tanz auffordern?« Lucinda war neben Mark aufgetaucht. Sie trug ein rosenfarbenes Kleid, tief ausgeschnitten, um ihren Busen und die schmale Taille aufs Beste zur Geltung zu bringen. Eine dicke Traube Diamanten glitzerte auf ihrem Dekolleté. Ihre Schönheit war unleugbar, aber es war eine Schönheit, die nicht die geringste Reaktion in ihm auslöste. Hatte er sie früher einmal verführerisch gefunden?
Ihre eisige Fassade schmolz dahin. »Mir tut so leid, was in Hurlingham passiert ist. Ich habe mich benommen wie eine Närrin.« Sie umklammerte ihren geschlossenen Fächer mit beiden Händen.
Er musterte sie eingehend und erhaschte einen Blick auf das glückliche, lebhafte Mädchen, das er in Erinnerung hatte.
Tränen glänzten in ihren Augen. »Es ist einfach so, dass die Ehe überhaupt nicht so ist, wie ich erwartet hatte. Verstehen Sie mich nicht falsch; Trafford ist wunderbar und erfüllt mir jeden Wunsch.« Sie berührte die Kette an ihrem Hals. »Trotzdem – ich nehme an, ich muss zugeben, dass ich sehr neidisch auf die Mädchen bin, weil sie noch immer die Entscheidung über ihre Zukunft haben.«
Er bot ihr den Arm, und sei es aus keinem anderen Grund, als dass er sich weiter ihrer Gunst erfreuen wollte –
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