So still die Toten
Tönung, daher würde ich sagen, sie sind nicht gebleicht worden.«
Malcolm schüttelte den Kopf. »Woher wissen Sie das alles?«
»Ich habe mal in den Sommerferien in einer Knochenpräparationsanlage drüben im Westen gearbeitet. Wir haben Tausende Knochen auf die Art präpariert. Natürlich Tierknochen.« Dr. Henson nahm einen Unterarmknochen in die Hand. »Wer auch immer das getan hat, hat sein Werk vermutlich nicht vollendet.«
Die Ausführungen der Pathologin waren Malcolm auf den Magen geschlagen, doch Garrison betrachtete die Knochen voller Neugier. »Haben Sie irgendwelche Theorien, warum der Mörder den Prozess nicht zu Ende geführt hat?«
»Vielleicht war der einzige Zweck, Beweise zu vernichten. Ich behaupte ja nicht, dass ich verstehe, warum jemand so etwas tut.« Sie justierte ihre Laborbrille. »Allerdings kann ich Ihnen sagen, dass der rechte Oberschenkelknochen fehlt.«
»Ob er sich den als Andenken aufbewahrt hat?«, meinte Malcolm.
Henson zuckte die Achseln. »Sie sind der Detective, nicht ich.«
Malcolm lachte. »Genau, deshalb zahlt man uns auch diese Riesengehälter. Rufen Sie uns an, wenn sie die Zahnarztakte gründlich durchgegangen sind.«
Um eine Minute vor eins blickte Angie auf die kleine, in Gold eingefasste Uhr, die auf ihrem Schreibtisch stand. Sie hatte ihrem Vater gehört und war eines der wenigen Besitztümer von ihm, die sie behalten hatte. Sie dachte an ihr Versprechen, Lulu Sweet zu vertreten, trommelte mit dem Stift auf ihren Schreibtisch und sah zu, wie die Sekunden verstrichen. Reue plagte sie.
Ein Teil von ihr hoffte, Lulu würde nicht erscheinen, sich extrem verspäten oder sogar high sein. Jede einzelne dieser Möglichkeiten wäre eine Ausrede, um die junge Frau aus ihren Gedanken zu verbannen und sich ein Mal mehr zu sagen, dass ihr gnadenloses Verhalten im Gerichtssaal gerechtfertigt gewesen war.
Als Angie das Gericht an jenem Tag verlassen hatte, war sie zufrieden gewesen, die Anklage abgeschmettert zu haben. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Lulu draußen vor dem Gebäude auf sie warten würde, und vor allem hatte sie nicht mit dem Zorn und der Empörung des Mädchens gerechnet.
Sie haben mir die Worte im Mund herumgedreht, aber der Mann, den Sie vertreten, ist böse.
Bei der Erinnerung daran richtete Angie sich auf. An jenem Tag im Gerichtssaal hatte sie das Rechtssystem verteidigt, das Recht eines jeden Menschen auf eine angemessene Verteidigung. Sie wollte jemand sein, der an das System und an das, was es repräsentierte, glaubte. Sie musste Dixon die Verteidigung ermöglichen, die Eva vor so vielen Jahren versagt geblieben war.
Ihr Telefon summte.
Sie drückte die Sprechtaste. »Ja?«
»Hier ist eine Ms Lulu Sweet für Sie.« Die Stimme gehörte Iris Stanford. Iris leitete das Büro von Wellington & James seit der Kanzleieröffnung vor sechs Jahren. Als Rechtsanwaltsgehilfin, Chefsekretärin und Mutter sorgte sie bei Charlotte und Angie für Ordnung. Die zweite Inhaberin der Kanzlei hatte die Verteidigung bei einem Mordprozess in Texas übernommen und war seit zwei Monaten nicht mehr im Büro gewesen. Sie wurde nicht vor Anfang November zurückerwartet.
Die Uhr schlug eins und zeigte Lulus pünktliche Ankunft an. »Bringen Sie sie zu mir.«
Angie stand auf, glättete ihren Rock und nahm die Kostümjacke vom Stuhl. Sie zog sie an und schloss den Knopf genau in dem Moment, als Iris in der Tür erschien.
Iris hatte kurzes, ordentlich geschnittenes Haar und trug einen unauffälligen schwarzen Haarreif. Beim Anblick ihres adretten, blauen Kleides und der vernünftigen, flachen Schuhe hatte Angie immer das Gefühl, man habe die Frau aus den Fünfzigern in die heutige Zeit versetzt.
Gleich hinter ihr kam Lulu Sweet. Zu Angies Verblüffung trug die junge Frau keine pinkfarbenen Strähnen, keinen Nasenring und keinen schwarzen Lidschatten mehr. Ein langärmeliger Rollkragenpullover bedeckte ihre tätowierten Arme und ihren Ausschnitt. Die neuen Jeans schmeichelten ihrer Figur, die inzwischen eine gesunde Fülle angenommen hatte. Sogar ihr Duft war anders – nicht mehr dunkel und rauchig, sondern frisch und sauber. Ohne die nuttige Aufmachung wirkte Lulu zehn Jahre jünger und erinnerte Angie daran, dass sie nicht älter als einundzwanzig sein konnte.
Angie streckte die Hand aus und schenkte ihr ein kühles Lächeln. »Lulu, Sie sehen toll aus.«
Der Händedruck der jungen Frau war fest und ihr Blick offen. »Das war auch meine Absicht. Ich muss auf
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