Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
Vom Netzwerk:
blondem Haar, war sie ganz sie selbst. Verrucht, auffallend. In dieser Bar, diesem Stadtteil, fühlte sie sich in ihrem Element. Sie kannte die Regeln und wusste, wie man mit den Wölfen heulte.
    Doch die Vertrautheit beruhigte sie nicht, sondern schürte ihre Sorgen nur noch mehr. Diese Umgebung war nichts für ein Kind. Was, wenn sie es da draußen nicht schaffte?
    Angie Carlson um Hilfe zu bitten, war ein kluger Schachzug gewesen. Diese Frau würde dem Richter ihr Anliegen verkaufen. Verdammt, Carlson könnte sogar Sand in der Wüste verkaufen.
    Was also, wenn Carlson den Richter dazu brachte, dass er ihr David zusprach? Was, wenn sie gewann und all das bekam, was sie immer gewollt hatte? Was, wenn sie den Jungen kaputtmachte?
    Klar, sie wollte ihn, genauso wie sie in diese Boutique und zu diesem Friseur hatte gehen wollen. Aber am Ende hatte sie es dann doch nicht durchgezogen. Was, wenn rund um die Uhr Mutter zu sein, sich genauso komisch anfühlte wie dieses verdammte Kleid und die Haarfarbe? David war kein Fetzen Stoff, den man einfach wegwerfen, kein Look, den man ändern konnte. Ihn hätte sie
für immer.
Und wenn sie nun
für immer
einfach nicht schaffte? Sie hatte noch nie irgendwas langfristig durchgehalten, das stand schon mal fest.
    Ihr war flau im Magen. Als sie sich die Schürze um die schmale Taille band, zitterten ihre Hände. Früher hätte sie sich etwas zu trinken geholt, oder auch Meth. Beides dämpfte die Nervosität und verscheuchte die Gedanken, die ihr zuflüsterten, dass sie nicht gut genug war.
    Aber das war früher. Und jetzt war jetzt. Und jetzt war es anders. Oder?
    Vor sechs Monaten, als sie in der Gefängniszelle gesessen und Davids Bild in der Hand gehalten hatte, hatte sie geschworen, dass sie nie, nie wieder Drogen nehmen würde. Und sie hatte sich daran gehalten.
    Warum also sehnte sie sich jetzt, wo sie so kurz davor war zu gewinnen, so sehr nach einem Schluck, dass ihr die Hände zitterten? »Scheiße.«
    Lulu begann, Bestellungen aufzunehmen, und versuchte, sich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren. Doch auch nachdem sie eine Weile Bestellungen eingetippt hatte, ließen ihre Furcht und das Zittern ihrer Finger nicht nach.
    »Was hat das Ding dir denn nur getan?« Die heisere Stimme gehörte einer blonden Kellnerin an der Bar.
    Lulu blickte zu Marcia auf – oder war es Maureen? Sie war nicht in der Stimmung für freundliches Geplänkel. »Das verdammte Ding ist einfach nur langsam.«
    Marcia oder Maureen zuckte die Achseln. »Bei mir nicht.«
    »Super.« Hinter Lulus rechtem Auge pochte ein dumpfer Schmerz, und sie konnte ihre Gereiztheit kaum noch beherrschen.
    »Vielleicht, wenn du nicht so fest draufdrücken würdest?«, meinte das Mädchen.
    »Klar.«
    »Du musst dich entspannen.«
    »Ich muss mich nicht entspannen. Ich muss nur diese verdammte Bestellung eingeben!«
    Das Mädchen hob wissend die Augenbrauen. »Falls du Hilfe beim Entspannen brauchst, Tony ist draußen.«
    Tony. Er dealte mit Drogen. Haschisch, Koks, Pillen. Nicht mit Crystal Meth, das sie so gemocht hatte, aber mit anderem Zeug, das alles etwas leichter machte.
    Zum ersten Mal sah Lulu Marcia/Maureen richtig an. Das Mädchen war dünn, hatte strubbeliges Haar und ein Nasenpiercing. Ihr Ausschnitt und ihre Arme waren voller Tätowierungen, und an ihren Augen sah man, dass sie etwas genommen hatte. Vor zwei Jahren war Lulu genauso gewesen.
    Nicht alles damals war schlecht gewesen. Anschaffen zu gehen, war nicht immer schlimm, und die Drogen nahmen so viel von der Angst und dem Schmerz weg. Lulu hätte so gern mal eine Pause von all der Anspannung und der Angst gehabt. Nur eine kleine Pause. Sie liebte David, und sie würde bis zum Äußersten kämpfen, um ihn zurückzubekommen, aber im Moment brauchte sie einfach mal eine Pause.
    Lulu zog die Nase hoch. »Tony ist da draußen, sagst du?«
    »Ja. Und er hat nach dir gefragt.«
    »Wirklich?«
    »Du fehlst ihm.«
    Ihr Verstand sagte Lulu, dass sie ihm keineswegs fehlte. Ihm fehlten ihr Geld und ihr Körper. Aber der primitive emotionale Teil ihres Selbst war so bedürftig und hungerte so sehr nach Liebe und Wärme. Nur für ein paar Minuten wollte sie dazugehören und sich keine Gedanken machen. Nur für ein paar Minuten …
    Lulu lächelte, denn sie wusste, mit ein bisschen Freundlichkeit konnte sie die Kleine dazu bringen, ihr einen Gefallen zu tun. »Kannst du etwa zehn Minuten auf meine Tische aufpassen? Ich mach’s wieder gut.«
    Das Mädchen nickte. »Ja,

Weitere Kostenlose Bücher