So still die Toten
Frauen ermittelt hatten und Donovan beinahe zu Tode gekommen war, war Angies Beziehung mit dem Reporter bekannt geworden. Sie war weder ausgewichen, noch hatte sie versucht, diese äußerst peinliche Episode zu verbergen, sondern hatte bei dem Verhör durch Garrison offen und ehrlich geantwortet. Sie hatte frei heraus zugegeben, dass Donovan sie zum Narren gehalten hatte, indem er sie verführt hatte, um ihr Informationen über Eva Rayburn zu entlocken.
Carlson hätte lügen und alles abstreiten können, doch sie hatte es nicht getan. Sie hatte den Schutz ihrer Schwester über die eigenen Gefühle gestellt.
Eigentlich fiel ihm, wenn er so zurückdachte, keine einzige Gelegenheit ein, bei der sie ihn angelogen hatte. Sie hatte ihm bei Gericht schwer zugesetzt, ihn verhöhnt und ihm Informationen rundweg verweigert, aber sie hatte niemals gelogen.
Nicht ohne Grund nannten die Cops sie Barrakuda. Sie verfolgte ihre Ziele, und wenn sie sich einmal in einen Zeugen verbiss, ließ sie erst los, wenn sie Blut schmeckte.
Doch sie hatte niemals vorgegeben, anders zu sein. Sie war, wie sie war.
Gut, und warum sollte das jetzt eine Rolle spielen? Und wieso hatte er den Drang verspürt, sie zu beschützen, als Donovan sie in die Ecke getrieben hatte?
Malcolm atmete scharf aus und massierte sich den Nacken. »Weil ich ein gottverdammter Idiot bin.«
Donovan hatte es nie als klug angesehen, Hassgefühlen nachzugeben. Hass war eine sinnlose, törichte Emotion, die Menschen blind machte gegenüber Chancen, die ihnen offenstanden. Doch als er beobachtete, wie Angie das Gericht verließ, war sein Hass auf sie nicht zu leugnen.
Er ließ seinen Gefühlen freien Lauf und malte sich die schrecklichsten Dinge aus. In allen Einzelheiten stellte er sich vor, wie er sie vernichten würde.
Nach allem, was er letztes Jahr durchgemacht hatte – die schwere Verletzung, die Operation, die Reha –, war es sein gutes Recht, nach jedem noch so kleinen Strohhalm zu greifen. Und sie hatte kein Recht, ihm das zu verweigern.
Wie eine selbstgerechte Puritanerin hatte sie vor ihm gestanden, doch unter dem eleganten Kostüm schlug das Herz einer geilen kleinen Hure. Ihr hatten die versauten Sachen gefallen, die er mit ihr gemacht hatte. Scheiße, ganz begeistert war sie davon gewesen. Sie wollte nur nicht, dass alle erfuhren, wie durchgeknallt sie war.
Eine ihrer Mandantinnen war ermordet worden, und er hatte vor, alles aus dieser Tatsache herauszupressen, was möglich war. Er würde ihren süßen kleinen Arsch so lange durch den Dreck ziehen, wie es nur ging.
13
Donnerstag, 6. Oktober, 19:15 Uhr
Angie war nicht sauer auf Eva gewesen, als Lulu heute nicht vor Gericht erschienen war. Okay, vielleicht ein bisschen angefressen, aber nicht sauer. Es passierte eben, dass man jemanden falsch einschätzte. Auch wenn Eva einen gigantischen IQ hatte, fiel sie auf Lügen genauso herein wie andere Menschen auch.
Aber jetzt war Angie wirklich verärgert, denn ihre Schwester hatte nicht auf ihre Nachrichten reagiert. Wegen eines Verbrechens, das sie nicht begangen hatte, hatte Eva zehn Jahre im Gefängnis gesessen. Während der Zeit ihrer Haft hatten sich Mobiltelefone explosionsartig ausgebreitet, und als sie schließlich aus dem Gefängnis kam, konnte sie sich nicht daran gewöhnen, ein Handy zu benutzen. Oft vergaß sie, es aufzuladen oder auch nur mitzunehmen.
Angie hatte Eva das Handy aus Sicherheitsgründen geschenkt. Doch ganz egal, wie oft sie darüber sprachen und wie oft Eva Besserung gelobte, am Ende blieb alles beim Alten.
Eva setzte sich auf ihren Stammplatz im King’s und wartete, bis ihre Schwester sie bemerkte. Eva sah blass und müde aus und hatte nichts von ihrem üblichen Elan. Angies Groll verflog. »Was ist los mit dir?«
Eva stellte Angie eine Cola hin. »Wieso fragst du?«
»Du siehst furchtbar aus.«
Eva zog die Augenbrauen hoch. »Ich hab dich auch lieb.«
Angie zuckte die Achseln. »Du siehst doch sonst nie krank aus. Jetzt aber schon. Wie kommt’s?«
Eva machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wahrscheinlich eine Erkältung. Irgendwann musste das ja mal passieren. Ich bin schließlich jeden Tag unter Menschen.«
»Wie läuft’s am College?«
»Gut. Und wie war’s heute mit Lulu?«
Angie fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Glases. »Komisch, dass du danach fragst. Ich hab versucht, dich vom Gericht aus zu erreichen.«
»Ich hatte eine Matheklausur. Musste das Ding abschalten.«
»Hast du es wieder
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