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So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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Robert?«
    »Ich wollte dich dort unten nicht angreifen.«
    Schon im Sitzen war er einschüchternd gewesen, aber im Stehen überwältigte er sie förmlich. Er war über eins neunzig groß, und ein durchschnittlicher Türstock wurde von seinen Schultern vollständig ausgefüllt. Sie spürte ihre Halsschlagader schneller pulsieren. »Du hast doch nur Fragen gestellt. Alles in Ordnung.«
    »Bist du sicher?« Er neigte den Kopf ein wenig, als wollte er sich kleiner machen. Vermutlich hatte er diesen Trick schon tausend Mal angewandt.
    »Mach dir keine Gedanken, Robert.« Sie sah auf die Uhr. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich habe in einer halben Stunde einen Termin.«
    »Natürlich.«
    Sie schenkte ihm ein Lächeln, weil es nur angemessen schien, und drehte sich um.
    »Vielleicht auf einen Kaffee?«
    Sie zögerte. »Ich habe einen Termin.«
    »Ja, aber nächste Woche bist du hier, oder? An der Art, wie du dagesessen hast, habe ich erkannt, dass du regelmäßig kommst.«
    »Das hast du mir einfach so angesehen?«
    »Du benimmst dich, als wärest du die Leiterin der Gruppe.«
    »Das ist Saras Aufgabe.«
    »Aber die Leute sehen dich an, wenn sie sprechen. Ich meine, sie sehen auch Sara an, aber sie erwarten genauso sehr deinen Beifall.«
    »Du irrst dich. Wir sitzen alle im selben Boot.«
    »In ihren Augen bist du die Leiterin.«
    Angie hob die Augenbrauen. »Es gibt doch nichts Schöneres, als Kapitän der
Titanic
zu sein.«
    Sein Lächeln wurde breiter. »Also heißt das Ja zum Kaffee nächste Woche?«
    Instinktiv schüttelte sie den Kopf, obwohl sie versucht war, aus Neugier Ja zu sagen. »Eher nicht.«
    Er grinste. »Das heißt also vielleicht.«
    »Du bist hartnäckig.«
    »Das höre ich öfter.«
    »Okay, falls wir uns nächste Woche sehen.«
    Er runzelte die Stirn. »Falls?«
    Sie mochte es nicht, wenn man sie drängte. »Wie gesagt, falls ich zum Treffen komme.«
    Er schob die Hände in die Hosentaschen und beugte sich vor. »Ich wette, du lässt fast nie eins aus.«
    Dieser Mann hatte sie vor nicht einmal einer Stunde kennengelernt und nahm bereits Dinge an ihr wahr, die nur wenige bemerkten. Gar nicht gut. Und ziemlich beunruhigend. »Bis dann, Robert.«
    Sie drehte sich um und ging, ohne zurückzuschauen, spürte jedoch seinen Blick auch dann noch auf sich, als sie längst auf die Straße getreten war. Mit jedem Schritt ärgerte sie sich mehr über Robert. Wer war er, dass er sich in ihre Gruppe drängte und in ihr las wie in einem offenen Buch? Wer zum Teufel war er?

16
    Freitag, 8. Oktober, 8:45 Uhr
    Angie saß an ihrem Schreibtisch, vor sich einen heißen Kaffee und war froh, dass ihr Meeting vorbei war. Die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch waren ordentlich gestapelt. Sie nahm einen silbernen Brieföffner und schlitzte einen Umschlag auf.
    Gleichzeitig überflog sie ihre E-Mails und entdeckte zu ihrer Überraschung eine Nachricht von Dr. Evans. Sie klickte sie an.
    Liebe Angie, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Resultate Ihrer Computertomografie, des Röntgen-Thorax und des Blutbilds
NEGATIV
sind
.
    Angie starrte auf das entscheidende Wort: NEGATIV. Ihr Herz hämmerte. Sie stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
    NEGATIV. Sie lächelte.
    Für dieses Jahr war der Kelch wieder einmal an ihr vorübergegangen. Sie war frei von Krebszellen. Dr. Evans hatte gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen. Aber die erhöhten Blutwerte hatten zusätzlichen Stress bedeutet, der erst jetzt von ihr abfiel.
    Ihre Mutter war mit achtundvierzig Jahren an der gleichen Krebsart gestorben, und sie hatte selbst mit angesehen, wie grausam ihr Tod gewesen war. Sosehr sie ihre Mutter auch geliebt hatte, sie hatte es nicht eilig, ihr zu folgen.
    Angie druckte die E-Mail aus, faltete das Blatt säuberlich zusammen und steckte es in einen Umschlag, den sie in ihrer Schreibtischschublade verstaute. Sie löschte die Nachricht aus ihrem Posteingang und anschließend auch aus dem Papierkorb. Eva hatte sie es erzählt, aber Charlotte und Iris wussten nicht, dass sie Krebs gehabt hatte, und sie wollte es dabei belassen.
    Ohne sich weiter ablenken zu lassen, widmete sie sich nun der Post. Darunter waren eine Vorladung für einen ihrer Mandanten, Unterlagen zu einer Vorverhandlung von einem Anwalt aus North Carolina und einige Briefe von anderen Mandanten. Es war der letzte Brief, der sie elektrisierte.
    Er war handschriftlich adressiert und kam von einem Privatdetektiv, Bill Patterson. Angie hatte ihm

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