So unerreichbar nah
Ohne mir vorher die
Gelegenheit gegeben zu haben, darüber zu diskutieren, wollten sie Franziska als
vierte im Bunde in unsere Praxisgemeinschaft aufnehmen. Wir hatten noch ein
ungenutztes Zimmer, welches uns momentan als Abstellraum für Akten diente. Immer
einmal wieder, aber äußerst vage, hatten wir darüber gesprochen, dass man hier
bei Bedarf noch einen zusätzlichen Behandlungsraum für einen vierten Kollegen
einrichten könne. Max und Johannes hatten sich jetzt offensichtlich für
Franziska als Neuzugang entschieden.
Obwohl sie es
so darstellten, dass Franziska heute vorbeigekommen sei, damit ich sie unverbindlich
kennenlernen konnte, war mir klar, dass ich vor vollendete Tatsachen gestellt
werden sollte. Meine Kollegen schwärmten in höchsten Tönen von ihren hervorragenden
Qualifikationen. Sie war Oberärztin eines psychiatrischen Fachkrankenhauses
gewesen, hatte dort Unmengen an Gutachten erstellt und Vorträge vor Kollegen
gehalten. Franziska war nicht auf den Mund gefallen. In geschliffenen Sätzen erklärte
sie, hauptsächlich an mich gerichtet, dass sie sich wegen
"Arbeitsüberlastung" eine Auszeit gegönnt habe, für ein Jahr an einer
renommierten Klinik für psychiatrische Störungen in Chicago hospitierte und
dort wertvolle praktische Erfahrungen sammeln konnte. Die sie nun gerne als
freie Psychotherapeutin in unsere Praxis einbringen wollte. Es klang, als wolle
sie uns damit einen riesigen Gefallen tun. Meine total geblendeten Kollegen
sahen das ähnlich.
Wortreich
wurde mir von den Jungs erklärt, wie wir durch Franziskas Verstärkung unseren
guten Ruf festigen sowie Miet- und Personalkosten senken könnten, während sie,
die schlanken Beine graziös übereinandergeschlagen, selbstgefällig auf ihrem
Stuhl saß und mich freundlich anlächelte. Ich sah und spürte es hinter ihrer
glatten Stirn arbeiten. Sie wusste genau, dass sie Max und Johannes in der
Tasche hatte und es auf mich ankam. Und sie witterte in mir keine ernste
Gefahr, das konnte ich am überlegenen Funkeln ihrer grünbraunen Augen erkennen.
Zum ersten
Mal seit Berufsbeginn verfluchte ich meine Überzeugung, im Job als graue
unauffällige Maus auftreten zu müssen. Franziska war der leibhaftige
Gegenbeweis für diese unbewiesene Theorie. Instinktiv ahnte ich, dass sich ihre
Berufskleidung keinen Deut von ihrer jetzigen Erscheinung unterschied. Paul
hätte sich einen Ast ab gelacht, wäre er jetzt hier gewesen. Zusätzlich
verfluchte ich meine zwei feigen hinterhältigen Kollegen und hatte blitzartig
vollstes Verständnis für Margaretes negative Männersicht. Die Frau lag
vollkommen richtig mit ihrer Einschätzung! Zeig einem Mann als Frau
seidenbestrumpfte Beine, figurbetonte Kleidung und eine lange Mähne, dann
bleibt seinem Verstand tatsächlich nur ein Weg: Direkt nach unten in den
Schritt, wo er freudig aufsteht!
Äußerlich
unbewegt und ohne eine Miene zu verziehen hörte ich mir die Lobeshymnen auf
Franziskas Fähigkeiten sowie die Versuche, mir heute noch mein Einverständnis
für ihre Aufnahme in unser Team abzuringen, an. Als Schweigen eintrat und mich
die drei erwartungsvoll anblickten - mittlerweile saßen alle außer mir, da es
nur drei Stühle im Raum gab - machte ich einen Schritt nach vorn und lächelte
sie der Reihe nach zuckersüß an, obwohl ich größte Lust verspürte, eine Bombe
mit Zeitzünder auf dem Schreibtisch zu platzieren, die ich unmittelbar vor dem
Hinausrennen gezündet hätte.
»Also, das
klingt alles sehr vielversprechend, Frau Klausen. Es war schön, Sie
kennenzulernen. Aber Sie und auch ihr, Max und Johannes, werden sicher
verstehen, wenn ich in dieser Angelegenheit nicht sofort eine endgültige
Entscheidung treffen möchte. Bisher haben wir über eine Verwendung unseres
Abstellraumes«, boshaft betonte ich dieses Wort, damit Franziska gleich wusste,
woran sie war, »keinerlei konkrete Gespräche geführt. Und da wir laut Vertrag
nur alle drei gemeinsam und einstimmig über alle Belange unserer
Praxisgemeinschaft abstimmen dürfen, bitte ich mir hinsichtlich meiner
Entscheidung eine angemessene Bedenkzeit von, sagen wir, zwei Wochen aus.«
Max und
Johannes zuckten zusammen und begannen, gleichzeitig ihre Münder aufzuklappen.
Sie sehen aus wie zwei Goldfische im Glas, dachte ich respektlos und machte
mich auf ihren massiven Protest gefasst. Aber die raffinierte Franziska brachte
sie mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen. Sie stand auf, trat dicht vor
mich hin - freudig konstatierte
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