So unerreichbar nah
ihnen, während sie zu mir
freundlich, aber eindeutig distanziert war. Damit konnte ich leben.
Ich konnte
selbst nicht sagen, warum, aber ich mochte sie nach wie vor nicht sonderlich. Glücklicherweise
liefen wir uns in der Praxis selten über den Weg. Aber im jetzigen Moment war
das Zusammentreffen leider unausweichlich. Gerade wollte ich nach einem kurzen
»Hallo, Frau Klausen« in mein Zimmer entschwinden, als sie mich aufhielt.
In
bedauerndem Tonfall erklärte sie:
»Bevor Sie
Silvia weiter in Bedrängnis bringen, muss ich Ihnen mitteilen, dass Herr
Lauters seit letzter Woche auf eigenen Wunsch zu mir gewechselt ist. Ich habe
natürlich versucht, ihn dazu zu bewegen, dass er seine Therapie bei Ihnen
abschließt.«
Sie zuckte
scheinbar hilflos die Achseln, während ich in ihrem Gesicht unübersehbare
Schadenfreude lesen konnte, die sie mit einem entschuldigenden Lächeln
kaschierte.
Ich stand da
wie vom Donner gerührt.
»Aber er hat
mir erklärt, er habe das Gefühl, bei Ihnen nicht schnell genug voran zu kommen.
Außerdem stimme die Chemie zwischen Ihnen beiden nicht, hat er gemeint. Heute
hatte er seine erste Stunde bei mir. Vielleicht wären Sie so freundlich, mir
bei Gelegenheit seine Akte zur Einsicht zu überlassen.«
Diese
verdammte Schlampe klaut mir meine Patienten! Und hat noch die Unverschämtheit,
meine persönlichen Notizen lesen zu wollen!
Eine jähe Wut
stieg in mir auf. Ich zählte innerlich bis zehn, holte tief Luft und bemühte
mich, einen ruhigen Ton anzuschlagen, obwohl ich dem Miststück viel lieber die
Augen ausgekratzt hätte.
»Finden Sie
es professionell, den Patienten einer Kollegin aus derselben Praxisgemeinschaft
zu übernehmen? Sie hätten ihn an einem Kollegen von außerhalb weiter empfehlen
können. Aufgrund der räumlichen Nähe ist diese Situation weder für ihn noch für
mich zufriedenstellend.«
Keine Sekunde
glaubte ich ihr das Märchen von der nicht stimmigen Chemie zwischen Jürgen und
mir. Er vertraute mir und wir hatten bei ihm durch gute Zusammenarbeit bereits
einige beachtliche Erfolge erzielt. Aber wie zum Teufel hatte sie es geschafft,
ihn zu einem Therapeutenwechsel zu überreden? Ich schoss meinen letzten Pfeil
ab.
»Und übrigens:
Meine Notizen zu Patienten, auch zu ehemaligen, gebe ich nie aus der Hand. Sie
werden seine Vorgeschichte und seine Probleme leider selbst erfragen müssen.
Einen schönen Tag noch.«
Hocherhobenen
Hauptes betrat ich mein Büro, schloss rasch die Tür und lehnte mich von innen
ermattet dagegen. Jetzt wusste ich, warum ich dieses Weib hasste. So eine
hinterhältige Schlange! Wenn ich die Zeichen richtig deutete, versuchte sie,
mich in der Praxis auszubooten! Aber wie sollte ich das den männlichen Kollegen
klar machen? Die, dafür hatte sie gesorgt, fraßen ihr aus der Hand. Männer
konnten gar nicht so schlecht denken, wie zumindest manche Frauen handelten.
Zaghaft
klopfte es.
»Tessa? Ich
bin´s. Bitte machen Sie auf, ich muss mit Ihnen reden«,
erklang
Silvias Stimme leise.
Was wollte
die denn jetzt? Vermutlich trieb sie ihr schlechtes Gewissen zu mir. Da wir
alle unsere Termine stets mit ihr abglichen, hatte sie schon länger Bescheid
gewusst und mir nichts erzählt. Ich wollte ihre Ausreden nicht hören. Unwirsch
rief ich durch die geschlossene Tür:
»Jetzt nicht,
Silvia. Ich muss telefonieren.«
Aber sie ließ
nicht locker.
»Bitte Tessa,
nur eine Minute. Ich muss Ihnen etwas sagen.«
Ich
verfluchte meine Gutmütigkeit und ließ sie ein. Sie hob ihr verheultes Gesicht
und blickte mir direkt in die Augen.
»Tessa, ich
schäme mich, weil ich Sie nicht gewarnt habe. Diese Klausen ist ein Luder.«
Erzähl mir
was Neues, Schätzchen!
»Ständig
schnüffelt sie im Bestellbuch herum und ich habe sie einmal dabei erwischt, wie
sie etwas daraus abgeschrieben hat, irgendeine Telefonnummer. Natürlich hatte
sie dafür schneller eine Ausrede, als die Maus ein Loch findet. Aber ich
vermute, sie wirbt heimlich Ihre Patienten ab. Bei zweien hat es bereits
geklappt.«
Sie nannte
den Namen einer Patientin, die gestern ebenfalls ihren Termin bei mir gecancelt
hatte und bestätigte mit ihren nächsten Worten meine geheimen Befürchtungen:
»Tessa, ich
fürchte, Frau Klausen will Sie auf Dauer aus der Praxis drängen. Johannes und
Max sind total begeistert von ihr. Sie müssen sehr vorsichtig sein, wenn Sie
sich wehren wollen, sonst geht der Schuss nach hinten los.«
Ich hatte ein
flaues Gefühl im Magen. Wie oft hatte ich schon
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